Schiebt den aktuellen Schutt mal weg!

Wolfgang Storz über die wirklich wichtigen politischen Fragen und den Sinn der Europawahl

  • Lesedauer: 3 Min.

Zeiten des Wahlkampfes - am 25. Mai ist es wieder soweit - sind Anlass, um die großen Tendenzen in die Mitte zu stellen. Die, die im Alltag von diesen sekündlichen Pseudo-Aktualitätchen in die Vergessenheit verdrängt werden. Anders formuliert: Wahlkampf heißt, passt auf Linke, treibt nur die wichtigsten Säue durchs Dorf!

Beispielsweise, dass nirgendwo in der Eurozone die Vermögen so ungleich verteilt sind wie in Deutschland, so das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, Berlin. Hans Ulrich Wehler, Sozialhistoriker: »Hundert Milliardäre stehen 2012 an der Spitze von 345 000 Vermögensmillionären: Die deutschen Reichen waren noch nie so reich wie in der unmittelbaren Gegenwart.« Übrigens: Gerhard Schröder spielte da die Rolle eines der größeren Geldscheißer.

Beispielsweise, dass nach Berechnungen des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung die öffentlichen Hände - also Bund, Länder und Kommunen - in den vergangenen 15 Jahren wegen der Steuerpolitik im Saldo knapp 500 Milliarden Euro weniger eingenommen haben und unter anderem deshalb die öffentliche Infrastruktur verrottet und die Staatsschulden explodieren.

Beispielsweise, dass bei allen Banken-Rettungsaktionen - in der EU wurden mindestens 1,7 Billionen Euro an Steuergeldern dafür zur Verfügung gestellt - nur eines gerettet wird, wie Hans-Werner Sinn, Wirtschaftsprofessor mit marktradikalem Antlitz, weiß: »Typischerweise konzentriert sich der Besitz der europäischen Bankaktien und Bankschulden auf die reichsten fünf Prozent der Haushalte ... Der Reichtum der Vermögenden wird zu Lasten der Steuerzahler, Rentner und Sozialhilfeempfänger der Eurozone gesichert.«

Beispielsweise, dass nur etwa sechs Milliarden Euro investiert werden in eine so genannte europäische Jugendgarantie, um die Jugendarbeitslosigkeit - die reicht mit Stand Dezember 2013 von 59,2 Prozent (Griechenland) über 23,3 Prozent (EU-Durchschnitt) bis 7,4 Prozent (Deutschland) - zu bekämpfen.

Beispielsweise, dass dies alles kein Zufall ist, weil Forscher der renommierten Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich vor zwei Jahren in akribischer Arbeit ermittelt haben, dass von etwa 43 000 transnationalen Konzernen gerade einmal 147 über Verflechtungen und Beteiligungen sagenhafte 40 Prozent der Unternehmenswerte aller dieser 43 000 weltweit agierenden Konzerne kontrollieren. Und dass diese 147 Superkonzerne wiederum untereinander engstens verflochten sind, so dass demjenigen, der heute noch das Wort Marktwirtschaft in den Mund nimmt, sofort alle Zähne verfaulen und die Aussicht auf Implantate versagt bleiben mögen.

Beispielsweise, dass - laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2013 - »Arbeitslosigkeit, Bildungsstand und Kaufkraft ... nachweislich maßgeblichen Einfluss auf die Wahlbeteiligung« haben und deshalb die vergangene Bundestagswahl »sozial nicht repräsentativ« gewesen sei. 29,4 Millionen Wählern für die Parteien der Großen Koalition stünden 17,6 Millionen Nichtwähler gegenüber, wobei letztere vor allem aus sogenannten »sozial prekären« Verhältnissen stammen. Man habe es inzwischen mit einer Demokratie für Besserverdienende zu tun, bilanziert die marktradikal geneigte Stiftung.

So weit das nervende Elend.

Und nun der Fortschritt.

Wahlkampf heißt auch, die Erfolge in die Mitte zu stellen, sie zu würdigen und - wer mag - zu feiern. Der renommierte Wirtschaftsjournalist Harald Schumann, Redakteur beim »Tagesspiegel«, Berlin - übrigens: Womit hat diese Zeitung, womit haben deren Chefredakteure diesen Journalisten verdient? Wer weiß es? Bitte antworten! Ich weiß es nicht! - hat jüngst auf diese Erfolge hingewiesen. Netzneutralität, Girokonto für alle, Verhinderung der Wasser-Privatisierung, Aussetzung der Verhandlungen zwischen EU und USA in Sachen Investitionsschutz, Einführung des automatischen Informationsaustauschs für Steuerbehörden und damit viel größere Jagdchancen auf Steuer-Kriminelle - bei all diesen erfreulichen Entscheidungen des EU-Parlamentes gab es ein erfolgreiches Zusammenspiel zwischen Hunderttausenden von hartnäckigen widerständigen Bürgern und Organisationen wie Campact oder dem Tax Justice Network und aufgeschlossenen und/oder zum Handeln gedrängten EU-Parlamentariern. Also: Bitte weiterspielen am 25. Mai.

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