Ohne Angst in den Tod
Medizinethiker Dieter Birnbacher plädiert für den ärztlich begleiteten Suizid in ausweglosen Lebenslagen
Haben Sie einen Plan für sich selbst, sollten Sie, aus welchen Gründen auch immer, aus dem Leben scheiden wollen?
Ja. Ich beschäftige mich nicht nur philosophisch abgehoben mit dem Thema. Meine Idealvorstellung ist die, im Falle einer degenerativen Erkrankung oder auch einer schweren Erkrankung, die sich sehr lange hinzieht und die mit einem Verlust an Persönlichkeit und geistiger Kraft verbunden ist, mit wachem Bewusstsein und im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte zu sterben. Vor allen Dingen möchte ich nicht, wie es sich viele Menschen wünschen, vom Tod überrascht werden, sondern das Lebensende bewusst erleben. Ich möchte aktiv Abschied nehmen von den Nahestehenden und von der Welt.
Nach den Vorstellungen des Bundesgesundheitsministers könnte es für sterbewillige Menschen komplizierter werden, so einen Abschied ins Auge zu fassen, wie Sie ihn gerade geschildert haben. Die Grenzen für Sterbehilfe sollen enger gezogen werden.
Das befürchte ich auch. Im Moment haben wir eine liberale rechtliche Lage. Beihilfe zu einem Suizid, also das Verschaffen eines entsprechenden Mittels, das man dann selbst nehmen muss, ist nicht verboten. Sie wird allerdings durch die Haltung der Bundesärztekammer stark erschwert. Sie versucht durchzusetzen, dass Ärzte sich an dieser Praxis nicht beteiligen. Deshalb haben Sterbehilfegesellschaften in der Schweiz oder in Deutschland Konjunktur. Sie bieten die gewünschte ärztliche Begleitung an. Im Falle eines Verbots, wie es Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe vorschwebt, bekämen sie Schwierigkeiten.
Halten Sie diese Einrichtungen für eine Notlösung?
Ja, der gegenwärtige Zustand ist sehr unbefriedigend, weil Ärzte, die Sterbehilfe leisten, befürchten müssen, dass sie angezeigt werden. Da liegt so eine unklare Drohung in der Luft. Sie reicht bis zum Entzug der Approbation. Das veranlasst Ärzte, bei der Sterbehilfe zurückhaltend zu sein. Was wiederum Patienten in die Hände von Sterbehilfegesellschaften treibt. Von denen sind durchaus nicht alle über jeden Zweifel erhaben.
Ist es nicht neben der unklaren Rechtslage vielmehr das Berufsethos, was Ärzte die Beihilfe zum Suizid verweigern lässt?
Sicher. Allerdings gehört die Linderung von Schmerzen und Leiden auch zu den ärztlichen Aufgaben. Sonst hätten wir ja die Praxis des Behandlungsabbruchs beim Vorliegen einer entsprechenden Patientenverfügung nicht. Es gibt kein absolutes Lebenserhaltungsgebot, auch wenn Leben zu erhalten selbstverständlich eine der wichtigen Standespflichten der Ärzte ist. So sind beispielsweise in Oregon/USA oder in der Schweiz längst nicht alle Ärzte zur Sterbehilfe bereit, obwohl sie dort legal ist. In Oregon waren es anfangs sehr wenige Mediziner, die den rechtlich gebotenen Rahmen für ihre Patienten nutzten. Inzwischen sind es mehr geworden. Und in der Schweiz unterschreiben auch nur bestimmte Ärzte das entsprechende Rezept.
Sollte Sterbehilfe nur für Menschen infrage kommen, die bestimmte schwere Krankheiten haben, also umgangssprachlich todkrank sind?
Ich sehe das etwas restriktiver, als man es in der Schweiz im Moment handhabt. Sollen Ärzte die Ausführenden sein - und das wäre für mich wünschenswert, einfach wegen ihrer Expertise -, dann sollte auch eine medizinische Indikation vorliegen. Das muss aber nicht unbedingt eine Erkrankung sein, die unmittelbar zum Tode führt. Es gibt viele chronische Erkrankungen, die außerordentlich belastend sind und sehr schwere Behinderungen, die sich jeder Behandlung verweigern. Solche Zustände sind für die Betreffenden manchmal schwer aushaltbar, wenn keine Hoffnung auf irgendeine Art von Therapie besteht. Die Krankheiten führen ja nicht zum Tode, sondern erlauben eine hohe Lebenserwartung. Ich würde die Indikation nicht so rigoros beschränken, wie das manche Gesetzentwürfe vorsehen.
Ist es nicht überaus kompliziert zu beurteilen, ob der Sterbewillige es tatsächlich ernst meint?
Diese schwierige Aufgabe haben Ärzte im psychiatrischen Bereich auch gegenwärtig. Sie müssen etwa entscheiden, ob es sinnvoll ist, jemanden gegen seinen Willen zu hospitalisieren, weil damit zu rechnen ist, dass seine psychische Krise überwindbar ist - unter anderem mit den Mitteln der Medizin. Das ist natürlich eine Voraussetzung. Deshalb hat man zum Beispiel in den Niederlanden Kriterien entwickelt, die sicherstellen sollen, dass die irreversible Entscheidung sterben zu wollen, über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten wird, und nicht auf der Grundlage einer behandelbaren Depression entstand. Geprüft wird auch, ob die Entscheidung frei vom Druck der Familie oder der Behandelnden getroffen wurde.
Ein Gesetzesvorschlag aus dem Bundestag - unter den Initiatoren sind Prof. Karl Lauterbach (SPD) und Peter Hintze (CDU) - sieht Sterbehilfe im eng begrenzten Rahmen vor.
Das geht in die richtige Richtung. Der Vorschlag vermeidet die strafrechtliche Einführung einer Sanktion. Dem Sterbewilligen nahestehende Personen sowie Verwandte sollen völlig frei sein, Beihilfe zu leisten. Darüber hinaus soll die Beihilfe ausschließlich in der Hand von Ärzten liegen. Das ist meines Erachtens richtig. Solange aber die Ärzte unter Kuratel ihrer Ärztekammern stehen und sich der Sterbehilfe verweigern, bringt das für die Patienten gar nichts. Darüber hinaus sind die Indikationen, die in diesem Gesetzesvorschlag als Voraussetzung für Sterbehilfe angegeben werden, zu einengend. So darf der Patient höchstens eine Lebenserwartung von einem halben Jahr haben, um Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen. Das ist auf Krebsleiden zugeschnitten. Krebserkrankte sind aber mit der Palliativbetreuung und den Hospizen relativ gut versorgt. Ihre Schmerzen werden erfolgreich bekämpft. Aber es gibt viele andere Krankheiten, bei denen das nicht so ist.
Vertreter eines rigorosen Sterbehilfeverbotes meinen, dass man Sterbehilfe nicht braucht, wenn man die Palliativbetreuung verbessert.
Dass die Palliativbetreuung verbessert werden muss, steht außer Frage. Die ist in Deutschland immer noch rückständig, obwohl sich in den letzten Jahren vieles zum Besseren geändert hat. Das betrifft vor allen Dingen die hausärztliche Betreuung Sterbender. Viele Menschen wollen nicht im Krankenhaus, sondern zu Hause sterben. Palliativmedizin ist wichtig, aber sie ist keine Alternative zum assistierten Suizid. Die häufigsten Motive von Menschen, die ihr Leben beenden wollen, sind gerade nicht Schmerzen oder Symptome wie Angst, Erbrechen oder Luftnot. Menschen wollen sterben, weil ihr Zustand nicht mehr mit dem Bild von sich selbst übereinstimmt. Sie haben ihre Würde eingebüßt oder meinen, sie eingebüßt zu haben. Schmerzen kann man mit Arzneien bekämpfen, aber absoluter Abhängigkeit, schwerwiegender Reduktion der Lebensmöglichkeiten und dem Gefühl, seinen Körper nicht mehr wiederzuerkennen, ist man ausgeliefert.
Wissen Parlamentarier, die demnächst eine Entscheidung über Sterbehilfe zu treffen haben, wie es solchen Patienten geht?
Nein. Der Großteil von ihnen hat sehr wenig Kenntnisse darüber. Ausnahmen sind diejenigen, die in ihrer Familie kürzlich einen Todesfall erlebt haben. Das ist für viele erst der Anlass, über diese Fragen nachzudenken.
Umfragen zufolge meinen 80 Prozent der Bevölkerung, dass Sterbehilfe liberalisiert werden sollte. Nur die Regierung nicht. Warum?
Die meisten Menschen haben Angst davor, was sie auf dem Weg in den Tod zu erwarten haben. Es gilt, diese Ängste zu beschwichtigen. Sie sind zum großen Teil unberechtigt, weil die Mehrzahl der Todesfälle nicht besonders qualvoll ist, sondern durchaus erträglich. Aber die Angst, dass es zum Schlimmsten kommen könnte und man hilflos bleibt, weil die Mittel der Palliativmedizin versagen - in einigen Fällen tun sie das tatsächlich - und dass man in eine Situation der totalen Abhängigkeit gerät, ist für viele Menschen erschreckend.
Warum kommt das bei jenen, die das Gesetz verschärfen wollen, nicht an?
Einerseits liegt das in religiösen Bindungen begründet, zahlreiche Parlamentarier kommen aus christlichen Kreisen, nicht nur in der CDU. Christliches Gedankengut ist unter Politikern viel stärker verbreitet als in der allgemeinen Bevölkerung. Außerdem ist die Lobbyarbeit der christlichen Kirchen erheblich. Hinzu kommt: Man befürchtet, dass ein Druck auf jene schwer kranken Menschen entstehen könnte, die Möglichkeiten der Sterbehilfe nicht nutzen wollen. Entweder, weil sie es aus grundsätzlichen Gründen ablehnen, oder weil sie es nicht mehr können. Der SPD-Politiker Franz Müntefering führt dieses Argument des öfteren an.
Sie meinen das nicht?
Ich halte die Befürchtung für nachvollziehbar, aber doch auch für einen Fehlschluss. Es gibt unterschiedliche Mentalitäten und Wünsche an das eigene Leben. Nicht jeder muss der Auffassung sein, dass man in allem selbstbestimmt leben muss. Das sollte nicht zur Norm erklärt werden. Ist denn die Partnerwahl immer selbstbestimmt? Auch die Frage, wie viele Kinder man bekommt und wann, ist oft nicht besonders rational unterlegt. Wie man sterben möchte, ist ebenso wenig mit Vernunftgründen erklärbar. Das entspricht eher der eigenen Lebenseinstellung, der Mentalität, der Weltanschauung. Ich halte es für legitim, wenn Menschen von rechtlich freigegebenen Möglichkeiten keinen Gebrauch machen. Es geht nicht um Nötigung, sondern um Freiräume für unterschiedliche Lebensentwürfe.
Wenn man selbstbestimmt aus dem Leben scheiden möchte, kann man die Methode des Sterbefastens wählen. Was ist das?
Sterbefasten ist der bewusste Verzicht auf Essen und Trinken, der nach ungefähr einer Woche zum Tod führt. Die Methode wird von wenigen Menschen in Anspruch genommen, kann aber ernsthaft überlegt werden, wenn man sich in entsprechender Lage befindet. Sie steht im Einklang mit den geltenden Prinzipien des ärztlichen Handelns. Der Arzt muss in keiner Weise aktiv werden, er muss nur als Palliativmediziner begleitend tätig werden, wenn das nötig wird.
Wie läuft Sterbefasten ab?
Es gibt einen interessanten Film des Wuppertaler Medienprojekts mit dem Titel »Sterbefasten«, in dem ein solcher Prozess dokumentiert ist. Man erfährt, wie der versorgende Arzt und die Tochter der Sterbenden diesen Vorgang erleben und beurteilen. Für mich ist diese Methode wählbar, denn sie hat den Vorteil, dass man keinem anderen Menschen die Aufgabe zumuten muss, in einem ethisch umstrittenen Bereich tätig zu werden, also zum Beispiel Suizidmittel zu besorgen. Es ist natürlich ein Prozess, der vielen, die an Sterbehilfe denken, zu unbequem ist. Er verlangt viel Willenskraft, zeigt aber auch unzweifelhaft, dass der Wille des Betreffenden, sein Leben vorzeitig zu beenden, ungebrochen ist.
Was erhoffen Sie sich vom bevorstehenden Prozess der Gesetzgebung zur Sterbehilfe?
Ich wünsche mir größere Sensibilität - vor allen Dingen in der Politik und bei den Vertretern der christlichen Kirchen - gegenüber den relativ wenigen verzweifelten Menschen, um die es geht. Deren Situation wird verdrängt. Der Verweis auf die verbesserte Palliativmedizin in der Zukunft scheint mit allzu bequem. Wir haben in Deutschland 10 000 Suizide pro Jahr. 1000 Menschen werfen sich vor den Zug. Jeder kennt das Problem. Bei deutschen Sterbehilfegesellschaften suchen vielleicht 200 Menschen Zuflucht, bei der Organisation »EXIT Deutsche Schweiz« 400 pro Jahr. Es handelt sich also nicht um ein flächendeckendes Problem. Die meisten Menschen, die sich für eine Liberalisierung der Sterbehilfe aussprechen, machen von der Möglichkeit am Ende des Lebens keinen Gebrauch. Aber die meisten Menschen möchten einfach die Möglichkeit haben, diesen Ausweg wählen zu können. Allein das wäre eine große Beruhigung.
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