Man sieht sich
Die Darsteller sind nicht mit Spielen beschäftigt, sondern liefern Text aus und versuchen dabei, betroffen zu gucken. Matthias Dell über den Erfurter »Tatort: Der Maulwurf«
Die Kinder aus Erfurt sind zurück! Vor über einem Jahr haben sie erstmals von sich reden gemacht – in einer Folge, die epochal genannt hätte werden können, wenn filmisches Erzählen nicht schon seit über 100 Jahren praktiziert würde. Für die Qualitätsbestimmung im öffentlich-rechtlichen Bereich aber eh wichtiger als alles Geschimpf der Kritik – das gemessene Knöpfedrücken der im Quotenpanel zusammengeschlossenen Zuschauer ließen sich auf eine Zahl von 10,32 Millionen Menschen hochrechnen.
Der für den »Tatort« Erfurt zuständige MDR (Redaktion: Meike Götz) stand beim zweiten Fall also vor dem Problem, die scheuen Spitzenquoten für einen armseligen Film nicht durch zu heißes Bemühen um eine künstlerisch hochstehende Episode zu verscheuchen. »Der Maulwurf« löst diese Aufgabe mit großem Bravour: Er ist ein bisschen weniger peinlich als die Debütfolge »Kalter Engel«, verzichtet dabei aber nicht auf schon jetzt liebgewonnene »Tatort«-Erfurt-Skills wie lahme Witze, tumbe Inszenierung (Regie: Johannes Grieser) und eine mäßig spannende Geschichte (Buch: Leo P. Ard, Michael B. Müller). Musik (Robert Schulte Hemming, Jens Langbein) hört sich an wie gebraucht.
Wobei, »mäßig spannend« klingt dann vielleicht doch etwas zu lapidar, schließlich macht der Fall in »Der Maulwurf« zur Hälfte eine Wendung um 180 Grad. Da wird der bei einer Beerdigung entflohene »Erfurter Rotlichtkönig« Lemke (Werner Daehn), nach dem die drei Fragezeichen Funck (Friedrich Mücke), Schaffert (Benjamin Kramme) und Gräwel (Alina Levshin) bislang fahndeten, erschossen – und fällt damit als festzunehmender Täter aus. Dafür ist für den Zuschauer ab diesem Zeitpunkt sein Mörder als Bösewicht und Titelgeber ausgemacht: Kriminaldirektor Römhild.
Mancher Zuschauerin könnte das schon von Beginn an klar gewesen sein, wenn Römhild als Experte für den Fall vorgestellt wird, als alter Freund der Chefin Petra »Fritze« Fritzenberger (Kirsten Block) und Ausbilder von Gräwel (die beim letzten Mal noch Praktikantin sein sollte, jetzt ganz normale Ermittlerin ist – so schnell erledigen sich scheinbar originelle Figurenentwürfe). Denn Römhild wird gespielt von Christian Redl, der diese Rolle schon in der Lena-Ödenthal-Folge »Tödliche Ermittlungen« von vor vier Jahren gab: als alter Polizistenhase Vaterfigur der Ermittlerin und am Ende, Überraschung, der Täter. Daran muss man sich aber nicht erinnern, man sieht das tolle Manöver der Geschichte nämlich schon der Wahl des väterlich-sinistren Redl an.
Vermutlich würde man deutsche Fernsehfilmverantwortliche überfordern mit dem Hinweis, dass der Reiz von Schauspielerfilmografien auch darin bestehen könnte, unterschiedliche, auf einander reagierende Rollen zu versammeln, und natürlich kann bei knapp 40 »Tatort«-Folgen im Jahr und 2.743 anderen Krimis in ARD und ZDF nicht in jedem Film das Genre revolutioniert werden. Aber dass die tollste Idee, die »Der Maulwurf« hat, Jedermanns olle Kamelle ist, illustriert die Trostlosigkeit des »Tatort« Erfurt gut.
Sie ließe sich auch an daran zeigen, wie das Konzept mit den Jungdynamos als Ermittlern bislang in Bräsigkeit resultiert. Die drei Kinder haben keinen Charakter (die, äh, Romanze von Funky Funck mit der Nachbarsfrau wird in einer Nachfrage des Kollegen mitten in der Arbeit, äh, thematisiert) und wenig Ausstrahlung. Die Darsteller sind nicht mit Spielen beschäftigt, sondern liefern Text aus und versuchen dabei, betroffen zu gucken: »Ach, komm, Maik, jetzt ist echt gut.« Und die »Saure Gurke«, den Negativpreis der öffentlich-rechtlichen Medienfrauen, den »Kalter Engel« im letzten Jahr einstrich, will man offenbar auch nicht loswerden: »Fritze« Fritzenberger ist stolz drauf, es als Protegée von dem Mann in ihre Führungsposition geschafft zu haben, der sie am Ende umbringen will. Man kann sich seine Abhängigkeiten nicht aussuchen.
Eine Erklärung, die schon in mehrere deutschen Filmen aufgetreten ist:
»Nie hat er mich mal gefragt, wie's mir geht.«
Ein Satz, der aus Kollegen Freunde macht:
»Sie hatten doch kürzlich Probleme mit einer Rockerbande.«
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