Alarmton in Wallsbüll

Breite Anti-Fracking-Bewegung in Schleswig-Holstein / Regierung will Projekte verteuern

  • Harald W. Jürgensonn
  • Lesedauer: 4 Min.
Fast überall in Schleswig-Holstein möchten Öl- und Gaskonzerne ihre Claims abstecken. Doch die umstrittene Fracking-Technologie ist im hohen Norden unerwünscht.

Wallsbüll hat um die 900 Einwohner und war bisher vornehmlich Musik-Fans bekannt. Mit dem Slogan »Dat ist legendääär - Wallsbüll Open Air« wird für »Deutschlands nördlichstes Rockfestival« geworben. In einer halben Stunde ist man zu Fuß in Dänemark. Hier in der Gegend ist es sonst meist flach und still. Schleswig-Holstein, wie man es erwartet.

Aber seit einigen Wochen herrscht hier ein anderer Ton, ein Alarmton. Denn Wallsbüll liegt am Rande von »Rosenkranz Nord«, einem der vielen von Unternehmen wie RWE Dea AG, PRD Energy Inc. oder in diesem Fall der Max Streicher GmbH & Co. KG a. A. abgesteckten Fracking-Claims. Der kleine Ort will den ganz Großen jetzt zeigen, was es von der umstrittenen Ölfeldausbeutung hält: Fracking - ums Verrecken nicht, haben sich die Wallsbüller Fördergegner auf die Fahnen geschrieben und sich an die Spitze der Schleswig-Holsteiner Anti-Fracking-Bewegung gesetzt.

Bisher folgten 119 Kommunen im Land den Wallsbüllern, allein in den Kreisen Nordfriesland und Schleswig wollen sich 150 weitere anschließen. Sie legten vorsorglich Widerspruch gegen Erlaubniserteilungen für Probebohrungen ein. Das zuständige Landesamt für Bergbau meint jedoch, dass Gemeinden und Grundeigentümer sich erst nach den Probebohrungen wehren können - gegen die letztlich entscheidenden Aufsuchungskonzessionen. Die Kommunen fürchten aber, dass es dann zu spät ist, um die Förderung noch zu stoppen.

Betroffen sind fast alle Regionen in Schleswig-Holstein, denn die Karte der Aufsuchungserlaubnisse und Bewilligungen zeigt abgesteckte Claims von Nordfriesland bis südlich von Hamburg, von Friedrichskoog bis kurz vor Lübeck. Aufsuchungserlaubnis und Bewilligung sind Fachausdrücke, die vorgaukeln, dass ein reales Fracking-Vorhaben noch in weiter Ferne liegt. Zunächst geht es nur um das Abstecken von Rechten: Während bei der Erteilung einer Aufsuchungserlaubnis noch offen ist, ob es an der betreffenden Stelle wirklich Erdöl gibt, geht es bei den Bewilligungen um Felder, in denen bereits Erdöl gefunden wurde - also darum, ob die Förderung wirtschaftlich vertretbar ist. Aber warum sollte man eine Erkundung erlauben, wenn man später mit der Ausbeutung der Vorkommen nicht einverstanden ist?

Auch Landesumweltminister Robert Habeck (Grüne) spricht sich gegen Fracking aus, aber nur mit Einschränkung. Nicht das Fracking generell, sondern nur das mit toxischen Substanzen will er verhindern. Das ist den Gegnern der umstrittenen Technologie zu wenig. Da die waagerechten Bohrungen schon in Tiefen oberhalb von 3000 Metern stattfinden sollen, sind die Auswirkungen auf Grundwasser und Erdstabilität völlig offen. Auch die Frage des benötigten Wassers ist ungeklärt: Wie kommen die zehn bis 30 Millionen Liter, die man für eine Bohrung benötigt, dorthin? Mit hunderten Tanklastern täglich? Und wohin mit dem verbrauchten, dann giftigen Abwasser?

Minister Habeck versucht jetzt die Quadratur des Kreises. Mit der Erhöhung des Förderzinses - einer vom Land erhobenen Abgabe für das Recht zum Öl- und Gasabbau - von 21 auf 40 Prozent ab 1. Januar will er die Fracking-Unternehmen verscheuchen. Max Streicher zog sich schon zurück, PRD Energy und RWE Dea wollen ihre erst zwei Jahre alten Pläne neu durchrechnen. Eventuell verziehen sie sich nach Niedersachsen, wo die Landesregierung den Förderzins gesenkt hat. Den Titel »Deutschlands Ölförderland Nr. 1« dürfte Schleswig-Holstein dennoch behalten - für die Bohrinsel »Mittelplate« in der Nordsee, wo mit konventionellen Mitteln Öl gefördert wird, erhöhte der listige Grüne den Förderzins nur moderat.

Zornig macht die Kommunen derweil auch, dass die Einnahmen aus der Ölförderung durch Fracking ans Land gehen und sie leer ausgehen. Es sei denn, das Förderunternehmen führt Gewerbesteuer an die Gemeinde ab. Doch damit rechnet niemand in Wallsbüll und anderswo.

Alle Landtagsparteien haben sich gegen Fracking in Schleswig-Holstein ausgesprochen, die LINKE will außerparlamentarisch für ein Volksbegehren werben. Eventuell, so der Umweltexperte der Bundestagsfraktion, Hubertus Zdebel, könne man auch eine Sammelklage unterstützen. Dann hätte das kleine Wallsbüll wieder viele Leute mobilisiert - so wie beim jährlichen Open-Air-Konzert.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -