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Der erste Schritt auf rutschigem Boden

Eine kritische Einschätzung des Abkommens zwischen der SYRIZA-geführten Regierung in Athen und der Eurogruppe vom 20. Februar

  • Spiros Lapatsioras, Jannis Milios und Dimitris P. Sotiropoulos
  • Lesedauer: 17 Min.

1. Einleitung

Eine erste Auswertung des »Übergangs«-Abkommens vom 20. Februar ergibt: Es handelt sich um einen Waffenstillstand, der von der griechischen Regierung vorgeschlagen und von der Gegenseite (den »Institutionen«) angenommen wurde. In den nächsten vier Monaten werden die Verhandlungsbedingungen für das nächste Abkommen gesetzt. Dies bedeutet zwar, dass noch nichts entschieden ist. Sicher ist dies allerdings nicht. Erstens verändert das »Übergangs-Abkommen« selbst die Machtkonstellation. Zweitens: Da die »Feindseligkeiten« in den nächsten vier Monaten weitergehen werden (Kontrolle der Verpflichtungen und Re-Interpretation der Bedingungen von beiden Seiten), ist es wichtig zunächst die Verhandlungsbedingungen zu verstehen.

2. Das Abkommen des 20. Februar: ein erster Schritt auf rutschigem Boden

2a. Die Ziele der Verhandlungen

Die griechische Regierung hatte beim Treffen der Eurogruppe vom 12. Februar 2015 – also in der ersten wichtigen Phase der Verhandlungen – ein neues »Brücken-Programm« gefordert und erklärt, dass die Fortsetzung des bestehenden Programms, das von der Bevölkerung abgelehnt wurde, nicht möglich ist:

1. das »Brücken-Programm« sollte keine Bedingungen oder Überprüfungen usw. beinhalten, sondern nur öffentlicher Ausdruck des Willens aller Seiten sein, die Verhandlungen ohne Druck, Drohungen und ohne jegliches einseitiges Handeln fortzusetzen.

2. In diesem Rahmen sollte Griechenland auf die verbliebenen Kreditraten des vorherigen Programms verzichten. Eine Ausnahme sollten jedoch die 1,9 Milliarden Euro sein, die die Europäische Zentralbank (im Rahmen des sog. SMP-Programms) und die Zentralbanken der Mitgliedstaaten (im Rahmen des sog. ANFA-Programms) Griechenland schulden. Hierbei handelt es sich um Zinseinnahmen aus griechischen Anleihen, die die EZB und die nationalen Zentralbanken der Mitgliedsstaaten erworben hatten. Zudem sollte Griechenland erlaubt werden, mehr als die bislang genehmigten kurzfristigen Anleihen (Treasury Bills) im Volumen von 15 Milliarden Euro auszugeben, um damit unvorhergesehene Ausgaben tätigen zu können.

3. Nach dem Ende dieser Übergangsperiode sollte Griechenland (a) endgültige Vorschläge unterbreiten, die gemäß den programmatischen Regierungserklärungen einen neuen Rahmen zur Finanzstrategie für die nächsten 3-4 Jahre und einen neuen nationalen Reformplan beinhalten sollten; gleichzeitig sollte (b) die Frage nach einer Verhandlung über die Umstrukturierung bzw. eine Erleichterung von Staatschulden gestellt werden.

Die deutsche Regierung – aber auch die anderen »Institutionen« (EU, EZB, Internationaler Währungsfonds) – ging in die Verhandlungen mit der Forderung, Griechenland müsse eine sechsmonatige »technische Fortsetzung« des bestehenden Programms (aus Kommunikationsgründen akzeptierten sie die Bezeichnung »bestehendes Arrangement« – existing arrangement) beantragen, mit dem Ziel eines erfolgreichen Abschlusses der Überprüfung gemäß den ursprünglichen Auflagen (successful completion of the review).

2b. Der Ausgang der Verhandlung

Das Abkommen vom 20. Februar beinhaltet nun eine viermonatige Verlängerung des »Hauptabkommens zur finanziellen Aushilfsmöglichkeit (Master Financial Assistance Facility Agreement, MFFA), die sich auf eine Reihe von Verpflichtungen stützt«.

Eine Verlängerung dieses Abkommens bedeutet:

(a) Kontrollen und Bewertungen seitens derselben drei »Institutionen«

(b) Verpflichtungen, sowie Bedingungen der Gläubiger

(c) eine Fortsetzung der Finanzierung auf Basis des Auszahlungsplans des bestehenden Programms, geknüpft an die Bedingung einer erfolgreichen Überprüfung

(d) Rückgabe der Gewinne der EZB und der nationalen Zentralbanken aus den einbehaltenen Zinsgewinnen auf griechische Staatsanleihen. Diese Auszahlung wird aber wiederum von einer positiven Bewertung der griechischen Politik durch die »Institutionen« abhängig gemacht, allerdings unter Wahrung der »Unabhängigkeit« der EZB.

Mit anderen Worten: Es handelt sich hier um einen Verzicht auf die in den Punkten 1) und 2) genannten Forderungen, mit denen die griechische Regierung in die Verhandlungen eingetreten war. Man muss hier noch betonen, dass in dem Abkommen nicht ausdrücklich erwähnt wird, wie eventuelle Finanzlücken bis zur Vollendung der Bewertung geschlossen werden können (möglich wäre dies gewesen zum Beispiel durch die Erlaubnis, zusätzliche kurzfristige Staatsanleihen auszugeben, um Zinsen, Schuldentilgung und unvorhersehbare Ausgaben zu finanzieren). Eine derartige Erlaubnis könnte allerdings in der Bezugnahme auf die »Unabhängigkeit« der EZB implizit enthalten sein. Also dann, wenn die EZB selbst prüfen und entscheiden könnte, ob die griechische Regierung ihren Verpflichtungen nachkommt. Dies würde jedoch zweifelsohne wiederum auch jegliche Auslegungsversuche seitens der Regierung hinsichtlich des Abkommens erschweren.

Gleichzeitig hält das Abkommen vom 20. Februar fest: »Die griechischen Behörden haben sich auch dazu verpflichtet, die notwendigen Primärüberschüsse (Haushaltsüberschuss ohne Zinszahlungen) oder die Einnahmen, die für die Schuldentragfähigkeit notwendig sind, zu garantieren, wie es die Erklärung der Eurogruppe vom November 2012 vorgesehen hat«. Das bedeutet: Die griechische Regierung verzichtet auf das ursprünglich formulierte Ziel einer Umstrukturierung bzw. Erleichterung von griechischen Staatsschulden (siehe oben) und akzeptiert das »Tragfähigkeitsprogramm«, das auf der Bedienung der Schulden über erzielte Primärüberschüsse basiert.

Was die griechische Regierung gewonnen hat (außer einer Änderung der Terminologie, die so heftig diskutiert worden ist):

Α) Gemäß Punkt (a) der Ziffer (3) (endgültige Vorschläge Griechenlands nach dem Ende der Übergangsperiode, die gemäß den programmatischen Regierungserklärungen einen neuen Rahmen zur Finanzstrategie für die nächsten 3 bis 4 Jahre und einen neuen nationalen Reformplan beinhalten sollten) ihrer Vorschläge hat die Regierung nun die Möglichkeit, geeignete Finanz- und Entwicklungsreformen gegenüber den »Institutionen« selbst vorzuschlagen. So wurden die Maßnahmen, die die vorherige Regierung vereinbart hatte, abgelehnt (Rentenkürzungen und Erhöhung der Mehrwertsteuer auf den Inseln); stattdessen wird der Schwerpunkt auf die Bekämpfung von Steuerhinterziehung, des Schmuggels und auf die Reform des Steuersystems, etc. gelegt.

Auch an diesem Punkt hängen die endgültigen Entscheidungen natürlich an der Genehmigung seitens der »Institutionen«: »Die griechischen Behörden verpflichten sich dazu, die Rücknahme eingeführter Maßnahmen und einseitige Änderungen der Politiken und der strukturellen Reformen zu unterlassen, die sich negativ auf die fiskalischen Ziele, die Erholung der Wirtschaft oder die finanzielle Stabilität auswirken würden, wie diese von den Institutionen bewertet werden.«

Β) Über die Höhe des Primärüberschusses für das Jahr 2015 wird verhandelt. Statt des ursprünglich vereinbarten Überschusses in Höhe von 3 Prozent der Wirtschaftsleistung lässt das Abkommen die Frage eines niedrigeren Überschusses offen: »Die Institutionen werden in Bezug auf das Ziel des Primärüberschusses von 2015 die finanzielle Lage im Jahr 2015 berücksichtigen«.

Es liegt also auf der Hand: Dieses Abkommen mag einen Waffenstillstand darstellen, es bedeutet allerdings kein »Unentschieden«. Das Abkommen ist der erste Schritt auf einem rutschigen Boden. Zwar wird mehr Zeit für die nächsten Schritte eingeräumt. Das in dem Abkommen skizzierte Umfeld für die Verhandlungen jedoch engt den Entscheidungsspielraum für die Regierung stark ein und ist weit entfernt von den Minimal-Anforderungen, die die Regierung bis zum 12. Februar formuliert hatte.

3. Kann der Neoliberalismus noch in Frage gestellt werden?

3a. Die Aufsicht als Balance zwischen »politischem« und »moralischem« Risiko

Die politische Strategie von SYRIZA und der europäischen Linken ist der Sturz des Neoliberalismus, d.h. das Ende einer Wirtschafts- und Sozialpolitik, die alle gesellschaftlichen Prozesse (von der Bildung bis zur Sozialversicherung und den Staatschulden) der »regulierenden Rolle« der Märkte anvertrauen will. Die europäische Linke strebt also nach einer Freiheit in der Ausübung einer Regierungspolitik, die es ihr erlaubt, die Macht der Märkte zugunsten der sozialen Bedürfnisse einzuschränken.

Der Neoliberalismus ist ein »Programm« der kontinuierlichen Stärkung der Interessen des Kapitals gegen die Interessen der Arbeiter, der Gewerbetreibenden, der Rentner, der Jugend, des Klein- und Mittelstandes. Der radikale Neoliberalismus, wie er z.B. in den Äußerungen von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble Ausdruck findet, entbehrt nicht rationaler Ziele und Strategien – trotz der rhetorischen Bequemlichkeit, welche die entgegengesetzte Behauptung den Gegnern dieser Strategien gewährt. Er versucht und schafft es auch bis jetzt, rational zwei Probleme zu lösen:

Erstens die Legitimierung eines Modells der Arbeit ohne Rechte und sozialen Schutz, mit niedrigem und flexiblem Lohn, ohne wesentliche Verhandlungsmöglichkeit seitens der Arbeiter. Auf diese Weise werden günstige Umstände für Unternehmensgewinne und die Akkumulation des Kapitals geschaffen.

Zweitens die Organisation der Eurozone (Koordinierung der Finanzpolitiken, Bankenunion, Rettungsprogramme usw.) mit dem Ziel einer Wirtschafts- und Währungsunion, in der die Mitgliedstaaten nicht dem »moralischen Risiko« ausgesetzt sind, soziale (oder andere) Ausgaben via Staatsverschuldung zu finanzieren. Die Mitgliedstaaten geraten in das Dilemma, entweder eine Politik aus Austerität, Einsparungen und Privatisierungen zu akzeptieren oder ihre Schulden nicht mehr bedienen zu können. Im letzteren Fall müssen sie dann ein Rettungsprogramm beantragen, das eine Politik aus Austerität, Einsparungen und Privatisierungen nach sich zieht.

Dieser extreme Ansatz fordert Privatisierungen und Primärüberschüsse, um die Schulden zu bedienen. Er widerspricht aber gleichzeitig nicht Maßnahmen wie denjenigen, die die griechische Regierung vorschlägt (und die die griechische Gesellschaft eventuell braucht) – zum Beispiel bessere Organisation der Einnahmesysteme (Steuern, Beiträge), Reorganisierung der öffentlichen Verwaltung (auch hier steckt der Teufel im Detail: in den konkreten Formen, welche diese Umorganisierung annehmen wird), Schwächung der Oligopole. Zudem akzeptiert dieser Ansatz die Umbesetzung politischer Posten mit neuem Personal, da die Legitimation des alten Personals rasch schwindet. Die Beibehaltung des von der Mehrheit der Bevölkerung wenig geschätzten alten Personals wird von der neoliberalen Strategie als »politisches Risiko« angesehen, weil dies zu sozialen Unruhen führen kann.

Gleichzeitig aber sieht der Neoliberalismus jede Politik, die die Interessen der Arbeiterklasse unterstützt, den öffentlichen Sektor ausweitet und die Reproduktion der Gesellschaft außerhalb des Marktes ermöglicht, für ein »moralisches Risiko« (moral hazard).

In anderen Worten: Der Neoliberalismus zielt genau auf das Maß an Austerität, das das »politische Risiko« nicht übermäßig erhöht und gleichzeitig das »moralische Risiko« ausschließt.

Im allgemeinen bewegen sich die zwei Risiken – das »moralische« und das »politische« – in entgegengesetzten Richtungen: Wird das »moralische Risiko« vermindert, erhöht sich das »politische Risiko« und umgekehrt. Dementsprechend führt die Intensivierung des Konflikts zwischen diesen beiden Kräften zu einer Suche nach der jeweils geeigneten Balance zwischen »moralischem Risiko« (die Regierungen beugen sich den Forderungen der Arbeiterklasse) und »politischem Risiko« (die Macht der politischen Eliten wird unterminiert, wodurch eine unkontrollierbare soziale Unruhe droht). Die »unabhängigen Verwaltungsbehörden«, die keiner »demokratischen« Kontrolle unterliegen und die insbesondere für die »Wirtschaft« von Bedeutung sind (hier sei als repräsentatives Beispiel die EZB genannt), sind ein Instrument bei der Ermittlung einer Balance zwischen diesen zwei Risiken.

In der Europäischen Union spielt die Bewertung und Kontrolle der (zwischenstaatlichen) Abkommen mittlerweile die entscheidende Rolle. Wenn wir das Abkommen des 20. Februar aufmerksam lesen, sehen wir, dass es nicht jede Maßnahme ausschließt, die das »moralische Risiko« erhöht, d.h. Regelungen zugunsten des Sozialstaates und der Arbeit unterstützt. Aber ein wichtiger Punkt des Abkommens ist, dass es den »Institutionen« obliegt zu bewerten, welche Reformen (keine) Probleme hinsichtlich staatlicher Finanzen, Wirtschaftswachstum und Stabilität und reibungslosem Funktionieren des Finanzsystems bereiten.

Es sollte zum Beispiel nicht vergessen werden, dass das Wirtschaftswachstum im aktuellen Programm vom Export abhängig gemacht wird. Lohnsteigerungen gelten dagegen als Beeinträchtigung der griechischen Wettbewerbsfähigkeit (dies ist ein Irrtum, wie jetzt auch empirisch feststellbar ist, bleibt aber trotzdem die herrschende Meinung der »Institutionen«). Ein weiteres Beispiel sind die »faulen Kredite« der Banken (Non Performing Loans, NPLs). Ihre Regelung beeinflusst offensichtlich das Finanzsystem und steht deswegen unter Vorbehalt, sowohl als Programm überhaupt, als auch hinsichtlich Grad, Zeit und Bedingungen seiner Ausführung, falls diese zustande kommt.

Die Kontrolle, d.h. die Aufsicht seitens der Institutionen, stellt also eine erhebliche Schranke dar für die Realisierung des von SYRIZA angestrebten Programms und der sozialen Reformen.

Sichtbar wird diese Schranke zum Beispiel dadurch, dass in dem ursprünglichen »Brücken«-Abkommen (s.o.) die Frage nach der Deckung unvorhergesehener finanzieller Bedürfnisse der Regierung in den nächsten Monaten ausdrücklich offen gelassen wird. Aber man sieht es auch an Stellungnahmen der Gläubiger bezüglich der permanenten Kontrolle der Einhaltung des Programms: EZB und IWF »interpretieren« in offiziellen Schriftstücken die Reformen als »äquivalente« Maßnahmen der Verpflichtungen, die sich aus dem altem »Programm« ergeben.

Insbesondere der IWF besteht auf die Umsetzung von Vorgaben des alten Programms, die eine Liberalisierung der Berufe vorsehen, Privatisierungen, Reformen von Arbeitsmarkt und sozialer Sicherung. Hier muss angemerkt werden, dass die Nicht-Quantifizierung der Ziele, die Nicht-Bestimmung des Defizits, das Fehlen jeglicher expliziten Diskussion über die Berechnung der Finanzlücke die Frage nach der »Äquivalenz« der Maßnahmen offen und »auslegungsbedürftig« ist.

In seinem Schreiben an Jeroen Dijsselbloem mit Datum 24. Februar hebt Mario Draghi hervor: »Wir betonen, dass die durch die griechischen Behörden beschriebenen Verpflichtungen sich in manchen Bereichen von den bestehenden Verpflichtungen des Programms unterscheiden. In solchen Fällen werden wir während der Auswertung überprüfen müssen, ob die durch die Behörden abgelehnten Maßnahmen durch Maßnahmen gleicher oder besserer Qualität im Sinne der Ziele des Programms ersetzt werden«. (»We note that the commitments outlined by the authorities differ from existing programme commitments in a number of areas. In such cases, we will have to assess during the review whether measures which are not accepted by the authorities are replaced with measures of equal or better quality in terms of achieving the objectives of the programme.«).

3b. Was die Verhandlung entschieden hat: über die Verhandlungstaktik und -strategie

Die wichtigste Frage bezüglich der Bedeutung des Abkommens vom 20. Februar jenseits der Strategien, die sich mit ihr verflechten und in ihr verdichten, ist, was für Möglichkeiten (trotz der extrem einengenden Rahmenbedingungen) der Regierung bleiben, ihr Programm zu realisieren. Vorher müssen wir aber die »Schwierigkeiten« näher betrachten, die zum Rückzug vom 20. Februar geführt haben.

Das Abkommen vom 20. Februar wurde bestimmt sowohl von externen Faktoren – dem gegebenen und bekannten neoliberalen Rahmen der »Institutionen« – als auch von internen Faktoren, die am Ende die entscheidende Rolle gespielt haben.

Eine nur nebensächliche Rolle haben die mangelnde Vorbereitung der Regierung und die widersprüchlichen Taktiken des Finanzministeriums gespielt, wie zum Beispiel:

Erstens: Das Fehlen eines seriösen Plans, der sich auf konkrete Zahlen und Analysen stützt. Selbst im Anhang, den das Finanzministerium als technische Übersicht veröffentlicht hat, kann man die Oberflächlichkeit der Vorbereitungen feststellen. Ferner wird in diesem Anhang der kritische Punkt eingeräumt, dass die Schuldentragfähigkeit mit den Primärüberschüssen zusammenhängt (eine Haltung, die einen wichtigen strategischen Rückzug darstellt, da die Regierung dadurch den fiskalischen Raum von vorneherein einengt).

Zweitens: Die Bezugnahme auf manche allgemeine Prinzipien des Vorschlags über den Schuldenschnitt, als der Finanzminister in London weilte. Hier wurde ein taktischer Fehler begangen: Ohne ein vorheriges Treffen mit der EZB wurde ein Vorschlag veröffentlicht, der aus einem Staat außerhalb der Eurozone angekündigt wurde und der den Umtausch der Staatsanleihen im Besitz der EZB im Zentrum hat. Es handelt sich um einen Änderungsvorschlag der Regeln der EZB. Dieser Vorschlag zwingt die EZB geradezu zur Ablehnung und zwar aus Gründen, die mit ihrer Politik und dem Gleichgewicht innerhalb ihres EZB-Rates zu tun haben, aber auch wegen der Vorwürfe, sie verletze mit ihrer Politik der quantitativen Lockerung ihre eigenen Normen.

Man hätte auch nicht unbedingt die EZB adressieren müssen, sondern hätte sich auf entsprechende Verhandlungen im Rahmen des ESM konzentrieren können. Hier hätte die EZB dann durchaus unterstützen können. Das wäre regelkonform für die EZB gewesen. Der andere Teil des Vorschlags, d.h. die Kredite des Euro-Rettungsschirms und die Kopplung der Schuldenbedienung an die Wirtschaftswachstumsrate, hätte man erst in einer zweiten Phase der Verhandlung einbringen sollen.

Drittens: Es schien, dass die griechische Regierung sehr großen Wert auf die Kommunikation des Verhandlungsergebnisses gelegt hat. Dies stellte ein negatives Signal sowohl nach außen als auch nach innen dar. Ein Beispiel dafür war der Umgang mit Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem, der zwar das »nationale Gefühl« in Griechenland gestärkt hat. Doch gleichzeitig wurde die griechische Verhandlungsposition dadurch geschwächt, da sie das ganze Wochenende damit beschäftigt war, die Finanzmärkte, die am Montag wieder öffnen würden, zu beruhigen. Damit wurde deutlich, dass die Regierung nicht wirklich eine kohärente Verhandlungstaktik hatte. Und natürlich war angesichts dieses Treffen auch für unerfahrene Beobachter offensichtlich, dass es in den Verhandlungen keine gleichwertigen Regierungsmitglieder außer dem Finanzminister gibt.

Es ist offensichtlich, dass diese schlecht inszenierte Verhandlung trotz der Arbeitsstunden, die ihr ihre Hauptdarsteller gewidmet haben, ein Todessprung mit verbundenen Augen war. Außerdem haben die Differenzen, die schlechte Handhabung und die Positionswechsel den Partnern gezeigt, dass die griechische Seite manipulierbar ist.

Aber was am Ende den Ausgang der Verhandlung bestimmt hat, war nicht die falsche Taktik. Der Rückzug der griechischen Seite wurde durch eine strategische politische Entscheidung vollzogen – durch die Entscheidung, auch diejenigen sozialen Schichten repräsentieren zu wollen, die jede Störung der »Normalität des Marktes« ablehnen. Das vieldiskutierte Szenario eines Bank-Run muss immer im Rahmen einer sozialen Machtkonstellation eingebettet (und als solches jenseits der jeweiligen Bewältigungstechniken überprüft) werden.

Gleichzeitig ist das Argument nicht zutreffend, ein hypothetischer Bankenkollaps würde notwendig einen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone nach sich ziehen – ein Droh-Szenario mit einer Null-Prozent-Wahrscheinlichkeit, das jedoch bereits den Regierungen Papandreou-Papadimas-Samaras als Legitimation für die Umsetzung der Memoranden gedient hat. Dieses »Argument« ist immer eine »Waffe« in den Händen von Extrem-Neoliberalen wie Schäuble.

3c. Was auf dem Spiel steht: Nichts kann sich ändern oder ist eine andere Welt möglich?

Aus dem bisher Gesagten kann der Schluss gezogen werden, dass das Abkommen – um es milde auszudrücken – den politischen Freiraum bei den Staatsfinanzen aber auch in anderen Bereichen signifikant einschränkt. Folglich ist der ökonomische Rahmen, auf dem sich die Regierung für die Verhandlungen und die Bewertung des intendierten finalen Abkommens stützt, schlüpfrig.

Die Tatsache, dass die Regierung es vorzieht, ihren offensichtlichen Rückzug und die erzwungene Änderung ihres Programms als einen »Sieg« auszugeben, ist ein schlechtes Zeichen für den weiteren Verlauf; denn damit zeigt sich, dass es ihr mehr um die kommunikative Handhabe als um die Sache selbst geht. Dies kann am Ende die wahre Niederlage bedeuten, da das gesendete und von der Gesellschaft empfangene Signal die Gewissheit bestätigt: »Glaube nicht den Worten der Politiker, es ist ihr Beruf, an der Regierung zu bleiben«.

Denken wir an folgende einfache Tatsache: Der Finanzminister Yanis Varoufakis hat den Gläubigern zugesagt, 70 Prozent der Forderungen des Memorandums zu erfüllen. Doch dafür ist die Regierung nicht gewählt worden. Hätte sie dies vor der Wahl versprochen, wäre sie eventuell nicht einmal in der heutigen Parlamentslandschaft präsent. Dass sie ihr Mandat so uminterpretiert, dass sie 70 Prozent des Memorandums unterstützen kann, bedeutet einen Wandel der Repräsentationsverhältnisse und der gesellschaftlichen Allianzen, auf die sie sich stützt.

Da die 70 Prozent für sich offenbar eine aus der Luft gegriffene Zahl darstellen (wieso nicht 68 Prozent oder 72 Prozent? 70 Prozent gemessen an den Seiten, den Kapiteln oder den vorgesehenen Maßnahmen?), deutet diese Zahl auf ein interpretatives Kampffeld zur Konstitution von Repräsentationsverhältnissen hin. Die Frage, die für die Regierung noch nicht entschieden ist, ist, ob die mediale Logik des »Siegs« und der Vertuschung der Probleme sich durchsetzen wird, oder ob eine tiefe Analyse des Rückzugs, den das Abkommen darstellt, und der Bedingungen dieses Rückzugs unternommen wird, solange die Zeit noch dazu ausreicht (und diese ist sehr kurz, da die nächste Runde der Verhandlungen schon beginnt).

Unter den neuen, nachteiligen Bedingungen, welche das Abkommen des 20. Februars diktiert, haben die Regierung und SYRIZA nur einen Ausweg aus der neoliberalen Sackgasse: die Offensive!

Eine Offensive der Ehrlichkeit: Man muss die Niederlagen zugeben, um Wege zu finden, den langfristigen Schaden zu minimieren; d.h. die Regierung muss unsere programmatischen Verpflichtungen wieder auf die Tagesordnung setzen: Umverteilung von Einkommen und Macht zugunsten der Arbeiterseite, Wiederaufbau des Sozialstaats, Demokratie und Teilhabe.

Eine Offensive mittels einer radikalen Reform des Steuersystems – so dass endlich das Kapital die Lasten trägt – und der Beseitigung rechtswidriger Praktiken eines Teils der griechischen Oligarchie: Petroleum und Tabak-Schmuggel, Steuervermeidung mittels Transfer-Pricing, Steuerhinterziehung, Missbrauch von Krediten, etc.

Gebraucht wird also ein neuer Schwung für Veränderungen innerhalb des Landes, damit die Allianz mit den unteren Schichten auf neuer Basis ausgebaut werden kann. Metaphorisch gesprochen: Was fehlt und leider mit dem Abkommen des 20. Februars weiter in die Ferne zu rücken scheint, ist ein einheimisches »Memorandum für den Reichtum« mit paralleler Verbesserung der Lebensbedingungen breiter Bevölkerungsschichten. Die Parole »Die Oligarchie soll zahlen« war nie aktueller als jetzt.

In einer Gesellschaft, in der der Verlust von 25 Prozent der Wirtschaftsleistung und die Verelendung eines großen Teils der Bevölkerung nur die offensichtlichsten Seiten der akuten Verschärfung der gesellschaftlichen Ungleichheit darstellen; in einer Gesellschaft, in welcher die massive Arbeitslosigkeit von einer Verbreitung mittelalterlicher Arbeitsbedingungen begleitet ist; in einer solchen Gesellschaft vielfacher Gegensätze aber auch großer Hoffnungen wird die »Popularität« der Regierung sich nicht lange 80 Prozent halten können.

Damit die Regierungspolitik hegemonial bleibt, muss sie sich klar mit den Interessen der arbeitenden Mehrheit verbünden und die Strategie des Neoliberalismus in Frage stellen. Spielraum für eine »national-väterliche« Politik, die vage alles »griechische« oder »europäische« verteidigt, gibt es nicht. Den hat es ohnehin nie gegeben und wird es für eine linke Perspektive auch in Zukunft nicht geben.

Übersetzung: Ozeni Athanasiadou

Spiros Lapatsioras ist Assistenzprofessor für Politische Ökonomie an der Universität Kreta, Mitglied des Zentralkomitees von SYRIZA. Jannis Milios ist Professor für Politische Ökonomie an der Technischen Universität Athen und Mitglied des ZK von SYRIZA. Dimitris P. Sotiropoulos ist Senior Lecturer an der Open University Business School in Großbritannien und Mitglied von SYRIZA.

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