Die dunkle Seite der Transparenz
Das IOC veröffentlicht wichtige Dokumente erst nach Olympia-Bürgerentscheid in Berlin
Erst knapp vier Monate ist sie alt, die Agenda 2020, mit der sich das Internationale Olympische Komitee (IOC) öffentlichkeitswirksam reformieren wollte. Noch ist einiges im Fluss, viele Abläufe sind noch nicht festgezurrt. Es besteht Spielraum für verschiedene Interpretationen. Das Wort Transparenz wird häufig verwendet in der Agenda des IOC-Präsidenten Thomas Bach. Es gilt zwar vor allem dem Finanzgebaren des Olympia-Dachverbands, das durchschaubarer werden soll, doch auch in Sachen Olympiabewerbungen wurde ein offenerer Umgang mit den Anforderungen in Aussicht gestellt. Schließlich blieb der so genannte Host-City-Vertrag, den die Olympiastadt mit dem IOC abschließen muss, nicht nur lange Zeit geheim. Er war auch der Hauptgrund für die Ablehnung der Bayern rund um die Bewerbung Münchens um die Winterspiele 2022.
Nun sind Berlin und Hamburg im Rennen um die Sommerspiele zwei Jahre später, doch noch immer weiß kein Bürger, welche Forderungen an seine Stadt gestellt werden und mit wie viel Geld sie auf der anderen Seite als Unterstützung vom IOC rechnen kann. Auf Anfrage des »nd« teilte eine IOC-Sprecherin nun mit: »Der Host-City-Vertrag für 2024 wird am 16. September 2015 mit dem Rest der Bewerbungsdokumente veröffentlicht.« Das klingt transparent, doch zumindest die Berliner bringt das kaum weiter: Sie sollen schon drei Tage vorher per Bürgerentscheid abstimmen, ob sie die Spiele in ihrer Stadt wollen oder nicht. Einige der wichtigsten Dokumente werden als Entscheidungsgrundlage also fehlen.
Wie kommt es zu der, gelinde gesagt, unglücklichen Terminreihung? Im Grunde dreht sich alles um den 15. September. Bis zu diesem Tag müssen nationale Olympiakomitees, in diesem Fall der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB), ihr Bewerbungsinteresse beim IOC dokumentieren. Sowohl Hamburg und Berlin als auch der DOSB wollen eine Bürgerbefragung. Wie schon in München wird diese - zumindest in dem Fall, dass sich der DOSB mit Berlin bewerben will - kurz vor Ablauf jener Frist durchgeführt. Der Grund dafür, nicht länger damit zu warten, ist wohl, dass es für die Regierung wie auch für den DOSB zu peinlich wäre, erst offiziell ein Interesse zu bekunden, und dann doch von den Bürgern zu einem Rückzug gezwungen zu werden. Nicht zuletzt diese Angst hat den DOSB ja schon veranlasst, selbst repräsentative Umfragen in beiden Städten durchführen zu lassen und sich im Falle eines klaren Siegers Mitte März für diese Stadt zu entscheiden.
Hamburg wird bislang ein kleiner Vorsprung zugesprochen. Ein weiterer Vorteil könnte nun sein, dass sich die Hansestadt vor den laufenden Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und Grünen noch nicht festgelegt hat, wann das Olympiareferendum stattfinden soll. Sollten viele Bürger zunächst die Vertragsentwürfe sehen wollen, könnte der Termin eventuell noch nach hinten verschoben werden, auch wenn der DOSB darüber wohl weniger glücklich wäre. Offiziell ist der Termin Sache der Städte.
Der SPD-Fraktionsvorsitzende in Hamburgs Bürgerschaft, Andreas Dressel, sitzt derzeit mit am Verhandlungstisch, sagt aber gegenüber »nd«, dass äußere Faktoren einen größeren Einfluss auf die Terminierung hätten als die Koalitionsgespräche. »Es wäre ohnehin sportlich, für eine Abstimmung noch vor dem 15. September die rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen, aber es ist möglich«, so Dressel. Die künftigen Koalitionäre wollen sich zunächst aber in Ruhe ansehen, wann und in welcher Form eine Befragung stattfinden muss. Ob dafür wie in Berlin ein einfaches Gesetz reicht oder doch die Verfassung geändert wird, ist ebenfalls noch nicht entschieden.
Die Projektgruppe »Olympia für Hamburg«, die bei der Behörde für Inneres und Sport angesiedelt ist, misst den Bewerbungsdokumenten ohnehin nicht den größten Stellenwert zu, auch nicht den wahrscheinlichen Milliarden aus den Töpfen des IOC. Deren Höhe sei anhand der vergangenen Spiele recht gut vorhersehbar. Zunächst gehe es um die Kosten für die Stadt, die genau beziffert werden müssten. »Wir werden nicht schnell irgendwelche Zahlen nennen«, sagt Uta Köhne. »Aus den Fehlern der Elbphilharmonie müssen wir lernen. So etwas wird es in Hamburg nie mehr geben. Wir werden uns Zeit für die Planung nehmen, um eine solide Kostenaufstellung zu präsentieren. Die jeweiligen Schritte werden transparent dargestellt«, beteuert Köhne.
In Berlin hofft die sportpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Gabriele Hiller, hingegen, auf einen Ausstieg aus dem Bewerberrennen. »Mich überrascht kaum, dass das IOC nicht besonders erpicht auf die Meinung der Bürger ist. Doch nun hat Berlin die Chance, sich zurückzuziehen. Der Senat hat schließlich immer gesagt, einen transparenten Ansatz zu verfolgen und die Spiele nicht um jeden Preis haben zu müssen«, so Hiller. Eine eventuelle Verschiebung des Bürgerentscheids durch den Senat, der leider bis Freitagnachmittag für eine Stellungnahme nicht erreichbar war, hält Hiller für unrealistisch: »Der 13. September ist sicher nicht gottgegeben, aber ich glaube, der Senat hält jetzt an seinem Fahrplan fest.«
Das IOC wird seine Veröffentlichungen jedenfalls nicht vorziehen, um deutschen Bürgern mehr Informationen vor ihren Entscheidungen zu geben - trotz aller Transparenzbekundungen. Man stelle die Dokumente allen Bewerberstädten am 16. September zur Verfügung, heißt es auf nd-Anfrage. »Wie eine Stadt national ausgewählt wird, liegt in der Verantwortung des jeweiligen NOK.« Heißt im Klartext: Das IOC schreibt gar keine Bürgerbefragung vor und schon gar kein Datum dafür. Wenn die Berliner also später abstimmen wollen, sollen sie das tun. Und wenn sie sich dann wieder zurückziehen wollen, wäre das für das IOC auch zu verkraften. Für Sommerspiele gibt es weltweit genügend Interessenten.
Dass der Host-City-Vertrag überhaupt veröffentlicht wird, ist neu, aber der für die Spiele 2024 ist nicht der erste. Mittlerweile ist der Vertragsentwurf für 2022 einsehbar, jedoch gibt eine IOC-Sprecherin zu bedenken, dass der Vertrag für 2024 wegen der dann erfolgten Umsetzung der Reformagenda »einige Änderungen enthalten wird«. Winter- und Sommerspiele sind aber auch ohne die Agenda bei Kosten für Sportstätten, Infrastruktur und Unterbringungen nur schwer vergleichbar. Der Blick in das Dokument von 2022 dürfte die Berliner und Hamburger also auch nicht viel schlauer machen.
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