Kundus: keine Schuld, keine Sühne
Hinterbliebene der afghanischen NATO-Opfer haben kaum Aussicht auf Entschädigung
Der Vortrag »Stressbewältigung durch Achtsamkeit« musste in einen anderen Saal des Oberlandesgerichts Köln verlegt werden. Saal 101, der ganze Stolz des Gerichts, war am Donnerstag stattdessen einem heiklen juristischen Verfahren vorbehalten. Zweitinstanzlich verhandelt wurde über Schadensersatzansprüche von Angehörigen dreier Opfer eines Flugzeugangriffs auf zwei von Taliban entführte Tanklastzüge in der Nähe des Feldlagers Kundus in Afghanistan. Den Befehl gab der damalige Oberst und heutige General der Bundeswehr Georg Klein. Bis zu 142 Menschen kamen bei der Bombardierung am 4. September 2009 zu Tode. Darunter zahlreiche Zivilisten, viele davon Kinder und Jugendliche.
Genug Platz bot der Saal 101. Die Nachfrage von Zuschauern und Journalisten war seit der erstinstanzlichen Verhandlung im Jahr 2013 deutlich gesunken - als das Landgericht Bonn vor vollen Zuschauerrängen eben diese Ansprüche der Hinterbliebenen abwies. Denn den beteiligten Bundeswehrangehörigen sei »keine schuldhafte Amtspflichtverletzung« nachzuweisen. Also könne die Bundesrepublik auch nicht in Regress genommen werden.
Dies sei im Wesentlichen »nicht zu beanstanden«, stellte die Vorsitzende Richterin Uta Statthalter nun klar, als sie die »vorläufigen Betrachtungen« ihres dreiköpfigen Senats zu dem politisch hochbrisanten Verfahren vorstellte. Der Berufung wies sie von vornherein »eher geringe Erfolgsaussichten« zu.
Statthalters Begründung war streckenweise delikat: Voraussetzung für eine Amtshaftung des Bundesverteidigungsministeriums und damit für Schadensersatzansprüche wäre ein Verschulden des Obersts Klein, führte die Juristin aus. Klein müsste, was die Tötung der Zivilisten betrifft, mithin Vorsatz oder mindestens Fahrlässigkeit nachgewiesen werden.
Zwar verböten diverse völkerrechtliche Konventionen das gezielte Töten von Zivilisten. Doch als »Ziele« im völkerrechtlichen Sinne seien die getöteten Zivilisten nicht zu betrachten. Denn Klein sei nicht bewusst gewesen, dass sich auch Zivilisten um die beiden bombardierten Tanklastzüge scharten. Er habe alle erdenklichen Informationsquellen zurate gezogen, bevor er seinen verhängnisvollen Befehl gab. Also: Kein Vorsatz, keine Fahrlässigkeit, kein Verschulden!
Richterin Statthalter hielt Klein insbesondere zugute, dass er sich auch durch Infrarotbilder »einen Eindruck von der Lage« verschaffte, bevor er befahl, die Tanklaster zu bombardieren. Für Klein spreche aber auch, dass auf besagten Bildern nur kleine Punkte zu erkennen waren. Kleine Punkte, die Klein nicht als Zivilisten oder gar Kinder identifizieren konnte. Die Aufnahmen - erstellt in Dunkelheit und aus 2500 Metern Höhe - waren also faktisch unbrauchbar, als es auszuschließen galt, dass Zivilisten durch den bevorstehenden Angriff gefährdet wurden. Den Widerspruch erkannte die Vorsitzende Richterin nicht.
»Wie kann man bei einer Infrarotaufnahme aus 2500 Metern Höhe sagen, man erkenne darauf Taliban?«, fragte der Klägeranwalt Karim Popal. Klein habe grob fahrlässig gehandelt, sagte der Bremer Jurist, der aus einer einflussreichen afghanischen Familie stammt. Schwere Vorwürfe erhob er gegen das Landgericht Bonn: Die Beweisaufnahme sei dort abgebrochen worden, bevor überhaupt Zeugen befragt werden konnten.
Auch das Kölner Oberlandesgericht werte die Verschuldensfrage zu Unrecht allzu positiv zugunsten Kleins, ergänzte Popals Kollege Professor Peter Derleder. Sie müsse neu gestellt werden. Klein habe den Sachverhalt alles andere als sorgfältig geprüft und Warnungen missachtet. Er müsse endlich als Zeuge vorgeladen werden. Kopfschütteln auf der Richterbank.
»Sie weigern sich, mehr als nur eine Durchgangsstation zu ein«, warf Derleder den Kölner Richtern vor. »Wir werden vor dem Europäischen Gerichtshof Recht bekommen«. Gegenüber »nd« sprach Derleder von Feigheit »aus Gründen der Staatsräson«. Eine Entscheidung wird am 30. April verkündet.
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