Gewalt

Leo Fischer über die Revolutionsromantik der Deutschen

Die Deutschen haben eine unglückliche Liebe. Es ist die Liebe zur Revolution. Wann immer auf der Welt protestiert und solidarisiert und aufmarschiert wird, gleich ob in orange, grün oder gelb, ob mit Rosen, Tulpen oder anderem Gemüse - immer sind die Deutschen zur Stelle, nicken anerkennend Applaus und geben wertvolle Tipps, wie das alles abzulaufen habe. Sie tun das schon seit Ewigkeiten, und die zauberhaftesten Traktate zur Französischen Revolution wurden in entzückenden kleinen deutschen Raubrittertümern verfasst, wo der Bauer noch ausgepeitscht wurde, wenn er nächtens ohne Erlaubnis ins Nachbardorf migrierte.

Kurz, die Deutschen sind Revolutionsexperten, und deswegen kann in Deutschland keine Revolution, noch nicht einmal eine Revolte oder sogar nur ein Bahnstreik stattfinden, ohne dass sie den allerhöchsten technischen Anforderungen genügt. Nachdem in Frankfurt am Main in den vergangenen Jahren zwei friedliche Blockupy-Demos schon vorab und pro forma zusammengeprügelt wurden, weil sie nicht durch den Revolutions-TÜV kamen, waren die Demonstranten diesmal ein bisschen stinkiger. Wenn man schon was aufs Maul bekommt, so die Logik, dann soll sich’s auch gelohnt haben.

Doch leider genügte auch das nicht. Angesichts brennender Mülltonnen und zerdepperter, wiewohl bestens versicherter Ladenfronten zogen überall die Leitartikler die Stirne kraus und weinten unisono: Frankfurt ist nicht der Gezi-Park, ist nicht Iran! Weltrevolution bitte, gerne, ja, aber nicht hier, wo wir’s grad so durch zwei Kriege geschafft haben und der Euro sich eben berappelt! Schaut doch mal, wie das damals der Gauck gemacht hat, als er so heldenhaft die Mauer einriss! Oder wie tapfer sich die Maidan-Leute haben niederschießen lassen. Das nächste Mal bitte Hausschuhe anziehen und danach aufräumen!

Andere waren vom Publikum nicht erfreut. Protest gut und schön, aber doch nicht mit solchen Leuten. Mit Studenten und Akademikern! Denen’s doch eh viel zu gut geht. Ein deutscher Qualitätsprotest müsste schon von Kriegswaisen aus Afghanistan und siamesischen Sweatshop-Arbeiterinnen gemacht werden. Wenn sie’s hierherschaffen, an Frontex und spanischen Todesschützen vorbei, dann erst haben sie das Recht, gegen den Kapitalismus aufzubegehren.

Die deutschen Proteststandards werden also noch weiter erhöht werden müssen, damit fürs nächste Mal sichergestellt ist, dass sich die Demonstranten absolut gewaltfrei zusammenkesseln, aus Bussen zerren und ganzkörperfilzen lassen.

PS: Jürgen Todenhöfer ist übrigens das allerletzte. Bevor auch das wieder vergessen wird.

Leo Fischer war Chefredakteur des Nachrichtenmagazins »Titanic«. An dieser Stelle kümmert er sich 
vierzehntäglich um den 
liegen gelassenen Politikmüll und dessen sachgemäße Entsorgung. Seine Kolumne finden Sie auch hier: 
dasND.de/kannweg

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