Umverteilung statt Demokratieappelle
Niedrige Wahlbeteiligung in Bremen: Warum jetzt mehr nötig ist als die üblichen Bedenkenträgerworte. Ein Kommentar von Tom Strohschneider
»Klarer Regierungsauftrag«? Viele der krampfhaften Erfolgstöne, die man seit Sonntagabend aus Politikermunde anzuhören hatte, müssen angesichts der niedrigen Beteiligung bei der Abstimmung in Bremen wie Treibstoff für noch mehr Nichtwähler wirken. Mag sein, dass Klappern zum normalen Parteien-Geschäft gehört - die Wahl in der Hansestadt ist nun aber ein erneutes Warnsignal an das Politikgeschäft: Wenn ein Parlament nicht einmal mehr auf den Stimmen der Hälfte der Wähler beruht - wie weit ist es dann noch mit der demokratischen Legitimation her?
Nun hat es auch bei vorangegangenen Wahlen schon dramatisch schlechte Beteiligungen gegeben. Der Fall Bremen macht aber mindestens zweierlei deutlich: Erstens, Demokratie-Abstinenz, besser sollte man wohl von Parteien-Müdigkeit sprechen, gibt es nicht nur in ostdeutschen Bundesländern, wo gern die DDR-Vergangenheit zur Erklärung herangezogen wurde. Zweitens, und wichtiger, es reicht nicht aus, nach immer neuen Minusrekorden bei der Beteiligung ein paar Bedenkenträgerworte in Mikrofone zu sprechen oder anzuregen, die nächste Abstimmung könne doch im Supermarkt oder über mehrere Tage stattfinden - vielleicht kommt dann ja noch jemand zur Wahl.
Entscheidend ist etwas anderes: In der geringen Wahlbeteiligung drückt sich mehr als nur allgemeine Unzufriedenheit über die real existierende Parteiendemokratie aus (was allein schon Grund zum dringenden Kurswechsel wäre), sondern es handelt sich dabei auch um eine soziale Spaltung der Demokratie, deren Folgen bald kaum noch korrigierbar sein könnten. Auch wenn exakte Zahlen aus Bremen noch fehlen: Die Analysen der vergangenen Wahlen haben gezeigt, dass es vor allem die Ärmeren sind, die sich keine Besserung ihrer Lebensumstände mehr von der herrschenden Politik versprechen. Von wem aber dann? Niemand kann sich über Pegida und Co wundern.
Die Beteiligungskrise wird man auch nicht mit Demokratie-Appellen aus der Welt schaffen. Es ist keineswegs so, dass man denen, die nicht mehr abstimmen, ein nicht hinreichende Neigung zum Parlamentarismus vorwerfen kann. Es würde überdies nicht viel ändern, wenn man nun ein paar kleinere Bundesländer zusammenlegt - dies verschöbe nur die räumlichen Grenzen der Beteiligungskrise.
Worum es in Wahrheit geht: Wenn die politischen Gestaltungsspielräume auch von Landesparlamenten durch Schwarze-Null-Ideologie ausgehöhlt bleiben, wenn es keinen erkennbaren Willen (und den Mut zur Durchsetzung) von radikalen Umverteilungsmaßnahmen gibt, dies zu ändern, wenn sich Politik wie jetzt in Bremen damit zufriedengibt, nachher zu beklagen, dass man mit leeren Kassen doch leider, leider nichts habe tun können - dann wird die parlamentarische Demokratie noch mehr Schlaglöcher der Nichtbeteiligung bekommen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.