Auf der Wache der Willkür ausgeliefert

Bundespolizist soll Flüchtlinge gequält haben

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 4 Min.
Flüchtlinge sollen auf der Wache der Bundespolizei im Hauptbahnhof Hannover gequält und gedemütigt worden sein. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, die politische Ebene verlangt rasche Aufklärung.

Das Gesicht des Mannes, der in einem weiß gekachelten Raum am Boden liegt, ist von Schmerz verzerrt, der Körper gekrümmt, die Hände stecken in Stahlfesseln. Dieses erschütternde Bild, das dem NDR zugeleitet wurde, soll ein Beamter der Bundespolizei im September 2014 in einer Zelle der hannoverschen Bahnhofswache aufgenommen haben.

Gequält und erniedrigt worden sei der 19-jährige Marokkaner, das ergaben die Recherchen der Fernsehleute. Ein Polizist habe den mutmaßlichen Schwarzfahrer dazu gezwungen, am Boden zu essen, und zwar verdorbenes Schweinemett. Wegen dieses Vorwurfs und wegen eines weiteren Verdachts auf Misshandlungen in der Bahnhofsdienststelle ermittelt nun die Staatsanwaltschaft.

Das Hackfleisch sei »schon grün« gewesen, als es ihm der Bundespolizist »verabreichte«: Das berichtet einer seiner Kollegen, unkenntlich gemacht, im NDR-Beitrag. Doch nicht genug, dass dem Flüchtling - vermutlich Moslem - das von seiner Religion verbotene Schweinefleisch aufgenötigt wurde. Der Beamte, der das Foto schoss, soll dieses an Kollegen weitergeschickt haben, verbunden mit einem Kommentar, in dem es heißt: »Dann hat der Bastard erst mal den Rest gammeliges Schweinefleisch aus dem Kühlschrank gefressen. Vom Boden.«

Sechs Monate zuvor soll derselbe Polizist einen Flüchtling aus Afghanistan auf der Wache gepeinigt haben. Dorthin war der 19-Jährige gebracht worden, weil er bei einer Kontrolle keinen Ausweis vorzeigen konnte. Auch mit seinen Übergriffen auf diesen Mann habe sich der Beamte per Handy-Nachricht gebrüstet, heißt es. Der NDR zitiert, wie er die Misshandlungen schildert: »Hab den weggeschlagen. Hab dem meine Finger in die Nase gesteckt. Und gewürgt. War witzig. Und an den Fußfesseln durch die Wache geschliffen. Das war so schön. Gequiekt wie ein Schwein. Das war ein Geschenk von Allah.«

Der Bundespolizist ist zurzeit nicht im Dienst. Seine Wohnung und auch sein Spind auf der Wache sind am Freitag durchsucht worden. Die Ereignisse aus dem vergangenen Jahr wurden erst jetzt von zwei Zeugen angezeigt, erfuhr »nd« von Oberstaatsanwalt Thomas Klinge, und: Ermittelt werde momentan gegen den einen Beamten, aber es werde auch untersucht, »ob noch andere dabei gewesen sind oder nicht«.

Dass weitere Polizisten bei den Quälereien zugegen waren, liegt nahe. Auf dem Bild des geschundenen Marokkaners sind Stiefel zu sehen, die nicht dem fotografierenden Beamten gehören können. Womöglich wird sich die Staatsanwaltschaft auch dafür interessieren, wie generell auf der Bahnhofswache mit Menschen umgegangen wird. Kommt doch im NDR-Beitrag ein ebenfalls anonymisierter Bundespolizist zu Wort, der von »lautem Geschrei« aus den Gewahrsamszellen berichtet und von der Reaktion seiner Kollegen: »Es wurde einfach die Tür zugemacht.« Damit man das Gebrüll nicht hört. Auch der Dienstgruppenleiter habe so verfahren.

Vielleicht interessiert die Ermittlungsbehörden auch, nach welchen Kriterien die Bundespolizei im Hauptbahnhof Personenkontrollen vornimmt. Sucht sie sich »Verdächtige« aufgrund ihres Aussehens heraus? Der Antirassismus-Ausschuss der Vereinten Nationen erwähnt in einer aktuellen Erklärung - aus anderem Anlass - die Bundespolizei als Beispiel für rassistische Diskriminierung in staatlichen Behörden. Nach Erkenntnissen des UN-Gremiums wählt sie bei Kontrollen in Zügen »Personen nach äußerlichen Merkmalen wie Hautfarbe« aus. Der Ausschuss empfiehlt Deutschland, die Rechtsgrundlagen für Personenkontrollen aufzuheben oder zu ändern und das Verbot rassistischer Diskriminierung zum festen Bestandteil polizeilicher Ausbildung zu machen.

Beschwerden über den Umgang mit Ausländern in der Bahnhofswache habe es schon mehrmals gegeben, weiß Kai Weber, Geschäftsführer des Flüchtlingsrates Niedersachsen. »Aber es war nichts dokumentiert.« Nun aber gehe es um belegbares Geschehen. »Hier ist auch das Bundesinnenministerium als Fachaufsicht gefordert«, betont Weber.

Die Bundespolizei in Hannover, so deren Sprecherin Sandra Perlebach, könne zu den Vorwürfen nicht Stellung nehmen, denn: »Die Sache liegt ganz in den Händen der Staatsanwaltschaft, und die werden wir bei allen Ermittlungen unterstützen.« Das bekräftigt auch das Bundesinnenministerium. Empört äußert sich die politische Ebene. Die Innenexpertin der niedersächsischen Landtagsgrünen, Meta Janssen-Kucz, sagte am Montag: Die mutmaßlichen Vorfälle seien schockierend. »Spätestens nach der Entdeckung des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) stehen die Behörden, aber auch die Politik in einer besonderen Verantwortung, Rassismus in den eigenen Reihen entschieden entgegenzutreten.«

Von »erschreckender Rohheit und Grausamkeit« spricht die Landesbeauftragte für Migration, Doris Schröder-Köpf (SPD). Es wäre alarmierend, wenn sich herausstelle, dass Kontrollmechanismen versagt und Kollegen des Beschuldigten »die brutalen Übergriffe nicht gestoppt haben«.

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