Ex-Bundesrichter: Hartz darf nicht vom Wohlverhalten abhängen

Hartz-IV-Sanktionen grundgesetzwidrig? Thüringer Sozialgericht will eine Grundsatzentscheidung in Karlsruhe erreichen

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 2 Min.

Die 15. Kammer des Sozialgerichts Gotha hält die Sanktionen gegen Hartz-IV-Bezieher für verfassungswidrig. Deshalb setzte die Kammer ein laufendes Verfahren zum Thema aus und legt die Sache nun dem Bundesverfassungsgericht vor. In dem Fall hatte der Kläger ein Arbeitsangebot des Jobcenters Erfurt abgelehnt. Daraufhin wurde sein monatlicher Regelsatz um 30 Prozent, also 117,30 Euro, gekürzt. Weil er ein weiteres Angebot ausschlug, veranlasste das Jobcenter eine Minderung um insgesamt 60 Prozent oder 234,60 Euro. So blieben dem Mann nur knapp 164 Euro zum Leben. Dagegen legte der Betroffene beim Sozialgericht Gotha Anfechtungsklage ein. Da die zuständige Kammer aber die »maßgebliche Norm«, in diesem Fall die Sanktions-Paragrafen des Sozialgesetzbuchs II, als verfassungswidrig ansah, musste die Sache als Vorlage nach Karlsruhe gehen. Dem Sozialgericht zufolge verstoßen die Sanktionen gegen mehrere Grundrechte. »Das vom Grundgesetz garantierte menschenwürdige Existenzminimum muss durch den Staat jederzeit gewährleistet werden«, heißt es in der Begründung der 15. Kammer, in der ein Berufsrichter und zwei ehrenamtliche Richter sitzen.

»Es ist der erste Vorlagebeschluss, der konkret die Frage der Sanktionen aufwirft«, betonte der Pressesprecher des Gerichts, Jens Petermann, am Donnerstag gegenüber »nd«. Der frühere Bundestagsabgeordnete der LINKEN sprach von eine »Grenzproblematik«, die bislang »nicht geklärt« sei.

Zwar haben Vorlagen von Gerichten in Karlsruhe eine geringe Erfolgsquote, trotzdem begrüßte der ehemalige Bundesrichter Wolfgang Nešković im »nd«-Gespräch die Entscheidung des Gothaer Gerichts. »Die Vorlage hat gute Chancen, wenn man die bisherigen Entscheidungen des Bundesfassungsgerichts zugrunde legt«, so Nešković. Schließlich habe Karlsruhe in vorherigen Urteilen festgelegt, dass der einzige Maßstab des Existenzminimums der Bedarf sei: »Der Bedarf hängt nicht vom Wohlverhalten des Hartz-IV-Beziehers ab.« Aus erzieherischen Gründen das Existenzminimum zu unterschreiten, wäre demnach nicht verfassungsgemäß. »Es gibt kein Minimum vom Minimum«, so der Jurist.

Auch Sozialverbände und LINKE lobten die Entscheidung des Sozialgerichts. Die Vorsitzende der Linkspartei, Katja Kipping, sagte am Donnerstag, sie sie froh darüber, »dass diese menschenwürdige Behandlung der Hartz IV-Beziehenden endlich auf den Prüfstand kommt«. Die Sanktionen, so Kipping, seien »juristisch und politisch falsch«.

Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, betonte: »Spätestens mit den massiven Kürzungen bei den Hilfen für Langzeitarbeitslose seit 2010 und der daraus folgenden Zweiklassenarbeitsmarktpolitik ist das Prinzip des Forderns und Förderns von der Bundesregierung aufgegeben worden. Damit ist das Recht auf Sanktionen verwirkt«.

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