Schlichtung für Athen und die Gläubiger
Ökonom Gustav Horn über Möglichkeiten einer Einigung, Gefahren des Grexits und das griechische Referendum
Die Lage bei den Verhandlungen zwischen den Gläubigern und Griechenland scheint weiter verfahren zu sein, die Positionen so weit auseinanderzuliegen wie vor einigen Monaten. Stimmt der Eindruck?
Wenn man sich die Vorschläge nüchtern anschaut, dann sind die Differenzen eigentlich lächerlich. Auf dieser Grundlage hätte man sich schnell einigen können. Das größere Problem besteht in der Frage von Schuldenerleichterungen und Investitionszusagen der Gläubiger, da ist es für einen Außenstehenden unklar, wie weit man vorangekommen war.
Ein Knackpunkt war die von den Gläubigern geforderte Mehrwertsteuererhöhung. Eine solche Maßnahme trifft vor allem die ärmeren Schichten und würde die Rezession in Griechenland noch verschärfen. War es nicht richtig, dass Athen an dieser Stelle nein gesagt hat?
Selbst bei der Mehrwertsteuer gab es über weite Bereiche eine Einigung. Die griechische Seite hatte die drei Sätze 23, 12 und 6 Prozent akzeptiert. Es war noch strittig, welche Güter unter welchen Steuersatz fallen sollen.
Gustav Horn ist wissenschaftlicher Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK).
Dennoch ziehen sich beide Seiten wieder in ihre alten Gräben zurück.
Das machen beide Seiten doch nur aus verhandlungstaktischen Gründen. Man kann nicht einfach ignorieren, was man bereits ausgehandelt hatte. Es wäre am besten, sich am Montag, also nach dem Referendum in Griechenland, wieder zu treffen und dann ernsthaft über Schuldenmanagement und Investitionszusagen zu verhandeln. Dann könnte die griechische Seite bei den Mehrwertsteuererhöhungen härtere Schritte akzeptieren.
Ließe sich das in den letzten Tagen zerschlagene Porzellan noch kitten?
Eines der Haupthindernisse bei den Verhandlungen ist das wechselseitige Misstrauen. Gerade in solchen Fällen ist die Hinzuziehung einer dritten Person oder Instanz sehr hilfreich, um die Debatte wieder zu versachlichen. In deutschen Tarifverhandlungen, selbst in aussichtslos erscheinenden wie zuletzt bei der Deutschen Bahn, hat sich ein Schlichtungsverfahren auf freiwilliger Basis bewährt. Der Gedanke liegt nahe, es auch hier zu probieren. Als Schlichter denkbar wäre die Führung der Industrieländerorganisation OECD oder der UN-Arbeitsorganisation ILO.
Ein Schlichtungsverfahren würde aber voraussetzen, dass sich beide Seiten als gleichberechtigte Verhandlungspartner akzeptieren. Man hat aber den Eindruck, dass einige Vertreter der Gläubigerseite Griechenland die Rolle zuweisen möchten, einfach die Forderungen der Institutionen zu erfüllen.
Wer das so sieht, will keine Verhandlungen, sondern strebt ein Diktat an. Man darf aber nie vergessen: Gläubiger und Schuldner sitzen immer im gleichen Boot, denn wenn der Schuldner nicht zahlt, dann trifft es auch den Gläubiger. Daher sollte man von Verhandlungen auf Augenhöhe ausgehen. Man muss sich hinsetzen und zu einem Kompromiss finden.
Die Gläubiger und die griechische Seite waren sich in einem zentralen Punkt anfangs einig: Sie wollten einen Grexit vermeiden. Genau darauf könnte es nun hinauslaufen.
Ich würde die gegenwärtige Situation als Graccident bezeichnen, ein unfallartiges Ausscheiden Griechenlands aus der Währungsunion. Solche Unfälle passieren, wenn man immer auf Kante verhandelt. Denn macht einer eine falsche Bewegung, steht man schon vor dem Chaos. Genau da stehen wir jetzt. Dies zeigt sehr deutlich, dass diese Art der Verhandlungsführung der Situation überhaupt nicht angemessen ist. Der Euroraum bedarf daher grundlegender institutioneller Reformen. Denn dieses Schauspiel, das wir hier jetzt mit Griechenland erleben, könnte sich in Zukunft anderswo wiederholen.
Wie könnten solche institutionellen Reformen aussehen?
Wenn wir einen gemeinsamen Währungsraum wollen, dann brauchen wir auch eine europäische wirtschaftspolitische Instanz, die exekutiv tätig werden kann, und natürlich eine ernstzunehmende legislative Kontrolle. Das sollte aus einer europäischen Perspektive heraus geschehen und nicht aus der Perspektive nationaler Regierungen, was sich gerade in den letzten Jahren in der Krise als sehr hinderlich erwiesen hat.
Zurück zu Griechenland: Wie wird sich ohne eine Einigung die wirtschaftliche Lage dort in den nächsten Wochen entwickeln?
Das Bankensystem wird bankrott sein, der Staat seine Schulden nicht bedienen können. Dann bekommt kein Gläubiger etwas. Der Zahlungsverkehr geriete in Gefahr, Kapitalverkehrskontrollen müssten aufrecht erhalten bleiben, die Verarmung in Griechenland würde weiter zunehmen. Wir hätten also ein Mitglied des Währungsraums, das zunehmend instabil wird.
Würde dies dann nicht automatisch zu einem Grexit führen?
Es gibt keinen Automatismus. Griechenland müsste sich explizit dafür entscheiden und dann auch die Europäische Union verlassen. Wenn Griechenland seine Lage als aussichtslos ansieht, wird es sich irgendwann dafür entscheiden müssen – was natürlich eine massive politische Schwächung der EU wäre.
Nun gibt es auch Befürworter eines geordneten Grexits. Was halten Sie denen entgegen?
In Griechenland würden die Importpreise massiv steigen, der Staat wäre de facto bankrott, weil er die in Euro notierten Schulden nicht bedienen könnte. Er würde auf den Kapitalmärkten kein Geld mehr bekommen. Es käme zu einer weiteren Anpassungsrezession. Für den Rest der Währungsunion würde dies eine permanente Unsicherheit mit sich bringen. Der Grexit wäre nämlich eine Einladung an die Finanzmärkte, immer wieder auf den Austritt oder Eintritt von Ländern zu spekulieren.
Aber hätte ein Grexit nicht den Vorteil, dass der griechische Staat wieder selbst Geldpolitik machen und zur Not Geld drucken könnte, um die Renten und die Gehälter des öffentlichen Dienstes zu bezahlen?
Dafür braucht Griechenland keine eigene Währung. Das Land hat einen Primärüberschuss, also mehr Einnahmen als Ausgaben, wenn man auf die Schuldzahlung verzichtet. Griechenland kann die laufenden Ausgaben also durchaus bestreiten. Allerdings kann sich das auf absehbare Zeit ändern, weil der Staat auf den internationalen Kapitalmärkten dann überhaupt kein Geld mehr bekommt.
Am Sonntag soll das Referendum in Griechenland stattfinden. Ihr US-Kollege Paul Krugman empfiehlt den Griechen, die Vorschläge der Institutionen zu ablehnen. Und Sie?
So wie die Frage formuliert ist, würde ich ebenfalls mit Nein stimmen. Es geht ja um einen Vorschlag der Troika, der die Austeritätspolitik fortsetzt, ohne dass es zu Schuldenerleichterungen oder Investitionsaktivitäten kommt. Aus ökonomischen Gründen kann man einem solch einseitigen Vorschlag nicht zustimmen.
Wäre ein Nein der Griechen, wie es manche Gläubiger suggerieren, ein Ja zum Grexit?
Das stimmt schon formal nicht, denn es geht nur um einen bestimmten Vorschlag der Troika. Konsequenz einer Ablehnung wären schlicht und ergreifend neue Verhandlungen.
Ein Blick in die Glaskugel: Wo stehen wir in einem halben Jahr?
Zu 51 Prozent gehe ich davon aus, dass wir dann eine halbwegs vernünftige Einigung haben werden. In der letzten Woche gab es ja auch unter den Gläubigern positive Äußerungen zu Schuldenerleichterungen und Investitionsspielräumen für Griechenland. Daher hoffe ich auf so viel Vernunft, dass man dies in weiteren Verhandlungen dann umsetzt.
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