Gegen den deutschen Lärm

Tom Strohschneider über das Referendum in Griechenland und die Gläubigerpolitik

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Griechen haben die Wahl. Auch wenn die veröffentlichte Meinung anderes behauptet: Es 
steht keine Entscheidung über den Euro an, keine über die griechische Sicht auf Europa. Es 
ist eine Abstimmung über die Krisenpolitik und die deutsche 
Dominanz.

Wie auch immer das griechische Referendum über die Gläubiger-Politik am Sonntag ausgehen wird - allein seine Ausrufung hat sich als ein Akt praktizierter Aufklärung erwiesen: Sie hat den Schleier weggerissen, mit dem Verhältnisse und Umstände sich als die angeblich besseren noch tarnen konnten, sie hat etwas in Gang gesetzt in den Köpfen und die eingeübte Routine der neoliberalen Krisenbearbeitung politisiert. Das Referendum wird als etwas in Erinnerung bleiben, das kann man vor seinem Ausgang sagen, das die Dinge verändert hat.

Ob das für Griechenland und in welcher Weise zutrifft, kann und soll hier nicht beleuchtet werden. Die deutsche Attitüde, in einem oft kolonialistischen Tonfall anderen vorzuschreiben, was gut oder schlecht für sie wäre, ist Teil des Problems. Eines großen Problems, über das wir in den vergangenen Tagen viel gelernt haben - Dank der Ansetzung des Referendums. Zum Beispiel dies:

Ein SPD-Politiker, der schon als Kanzlerkandidat für 2017 im Gespräch war, ein gewählter Repräsentant des Europäischen Parlaments, in dem auch SYRIZA-Abgeordnete sitzen, posaunt unverhohlen seinen Wunsch heraus, die Athener Regierung möge über das Referendum stürzen. Der Mann hat sogar schon Ideen für eine technische Übergangsregierung im Kopf für den Fall notwendiger Neuwahlen: »Dann hat Griechenland wieder ein Chance.« Dann?

Eine Wirtschaftszeitung bildet den Premier Griechenlands mit einer Pistole am Kopf und der Schlagzeile ab: »Geld her oder ich schieße«. Die demokratische Entscheidung von Alexis Tsipras, sich per Referendum ein neues Mandat für die Verhandlungen mit den Gläubigern zu holen oder eben die Absage an seine bisher verfolgte Politik, wird zur Pose eines selbstmörderischen Erpressers verzerrt. Wer schießt hier?

Ein aus Talkshows bekannter Kolumnist fordert »SYRIZA muss fallen«, deutet ein mögliches Nein zu den Bedingungen der Gläubiger in ein Votum gegen Europa um und hofft auf den Sturz der Regierung in Athen, die er »pervers« nennt. Wer fällt hier, nämlich hinter alle sonst immer hochgehaltenen Maßstäbe zurück?

Das Gros der Politiker und die veröffentlichte Meinung hierzulande machen die passenden Geräusche zu einem ökonomischen Staatsstreich. Ist das zu überzogen formuliert? Wer die Debatte zum Konflikt über die Krisenpolitik zwischen den Gläubigern und der Regierung in Athen nicht nur in der deutschen Mehrheitsblase verfolgte, wird das anders sehen. Warum? Jenseits davon konnte man lesen, dass führende deutsche Politiker ankündigten, solange jede Stützungsmaßnahme, geschweige denn eine darüber hinausgehende, das Schuldenproblem nachhaltig lösende Einigung für Griechenland zu blockieren, wie die Regierung von Tsipras dort im Amt ist. Dort wurde der wirtschaftspolitische Irrsinn, den die kompromisslose Berliner Betonfraktion verfolgt, breit kommentiert. Dort war es nicht nur einen Nebensatz wert, dass die von der Bundesregierung maßgeblich durchgesetzte Austeritätspolitik in Europa zu einem sozialen und ökonomischen Desaster führt. Dort wurde gesagt, dass nicht eine längst als falsch erkannte Politik gestoppt werden soll - sondern eine Alternative dazu, die beweisen würde, wie es anders ginge. Und das auch noch mit der Unterstützung der Mehrheit der Bevölkerung! Wo kämen wir denn da hin?

Das Ergebnis der Januarwahl in Griechenland, aus der eine Linkspartei als Sieger hervorging, wurde als nicht marktkonform angesehen - und seither versuchen jene, die als marktkonforme Demokraten gelten, dieses Wahlergebnis zu korrigieren. Sie machen dabei einen deutschen Lärm, der sich noch auf die offenkundigste Lüge stützt. Und wir lernen, was »ein guter Europäer« ist: Es ist »nicht der, der eine Einigung um jeden Preis sucht«, wie es Merkel im Bundestag formuliert. Sondern der, der jeden Preis in Kauf nimmt, wenn nur die Einigung zu seinen Bedingungen ausfällt.

Im Übrigen: Es wird von SYRIZA nichts Revolutionäreres angestrebt, als führende Ökonomen für sinnvoll halten - und was man eine sozialdemokratische Politik nennen könnte. Dass es die SPD ist, die in Deutschland noch rechts an Kanzlerin Angela Merkel vorbei an die Spitze der Verteidiger von Interessen marschiert, die nicht diejenigen ihrer Wähler und Mitglieder sind, wird die politische Linke hierzulande noch eine Weile beschäftigen.

Es gibt gute, nein: sehr gute Gründe dafür, dass die Griechen am Sonntag mit Oxi (Nein) stimmen. Die Krisenpolitik, die in Berlin maßgeblich geplant wird, hat dem Land seit Frühjahr 2010 sieben Kürzungspakete aufgezwungen. Die Nachfrage brach ein, Hunderttausende verarmten, die Arbeitslosigkeit ist heute doppelt so hoch wie vor den »Hilfen«. Die Staatsschulden sind praktisch kaum gesunken, nur die Gläubiger sind heute andere. Selbst der IWF sagt, eigentlich braucht es einen Schuldenschnitt. Die bisher verfolgte Krisenpolitik ist gescheitert. Ich würde mit Nein stimmen. Aber: Es ist Eure Wahl.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.