»Flüchtlinge sind hier willkommen«
Gesänge, ein Ministerpräsident, Willkommenspakete: Wie Hunderte im thüringischen Saalfeld den Zufluchtsuchenden aus Ungarn einen warmherzigen Empfang bereiten
Saalfeld. Die Strapazen der langen Reise sind den Flüchtlingen anzusehen. Viele schauen schüchtern, etwas verstört, andere sichtlich erleichtert. Doch vor dem Bahnhofstor im thüringischen Saalfeld ist die Stimmung ausgelassen. Mehr als 200 Menschen singen dort auf Englisch »Flüchtlinge sind hier willkommen«, Helfer reichen den Männern, Frauen und Kindern - viele aus dem Bürgerkriegsland Syrien - Beutel mit Süßigkeiten, Broten, Spielzeug, Obst und Joghurt. Schubweise steigen die Neuankömmlinge am Samstagabend in Busse, die sie zur Registrierung in eine nahe gelegene Turnhalle bringen. Es regnet.
Um 20.49 Uhr fährt der Zug auf Gleis 2 des Saalfelder Bahnhofs ein. Dort wartet bereits Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow, begleitet von Helfern, Kameras und Journalisten. Der Linken-Politiker hält ein kleines Spielzeugauto in der Hand. Er winkt den Flüchtlingen zu. Wenig später begrüßt er sie durch ein Megafon auf Arabisch. »Ihr seid in Thüringen herzlich willkommen.« Die Flüchtlinge applaudieren. Nun werde ihnen geholfen, erst einmal Ruhe zu finden. Das Auto schenkt er wenig später einem kleinen Jungen. Dessen Vater erzählt, er sei mit seiner Frau und drei Kindern über Ungarn aus Syrien geflüchtet. Seit über einem Monat seien sie unterwegs. »Wir sind jetzt sehr müde. Danke Deutschland!«
Bestimmten die Bilder des rechten Mobs im sächsischen Heidenau in den vergangenen Wochen die Schlagzeilen über Fremdenfeindlichkeit im Osten, so zeigt die 25 000-Einwohner-Stadt Saalfeld ein anderes, ein freundliches Gesicht. Zwar mischen sich nach Polizeiangaben auch etwa 20 Leute aus der rechten Szene unter die Menschen vor dem Hauptbahnhof. Sie erhalten aber Platzverweise.
Erst am Samstagvormittag wird bekannt, dass ein Sonderzug auf dem Weg nach Thüringen ist. Zunächst ist von 500 Menschen die Rede, ein Sprecher der Bundespolizei präzisiert die Zahl kurz vor der Ankunft auf 569, davon 21 Kinder unter zwei Jahren.
Binnen weniger Stunden tragen Dutzende Helfer Lebensmittel, Süßigkeiten, Spielzeug, Hygieneartikel, aber auch Zigaretten zusammen und bringen diese nach Saalfeld. Im Büro der Linken-Abgeordneten Katharina König werden dann im Akkord Brote geschmiert und Willkommenspakete für die Flüchtlinge gepackt.
»Ich könnte weinen vor Freude«, zeigt sich Ramelow überwältigt von der Hilfsbereitschaft. Noch vor Jahren hätten Rechtsextreme versucht, die Stadt »mit erhobenem Arm« zu kontrollieren. »Hier zeigt sich, dass dieses Land ein anderes ist als das der braunen Schreihälse.«
Die Flüchtlinge werden am Abend per Bus in eine Turnhalle gebracht, wo sie registriert werden. Danach soll noch in der Nacht etwa die Hälfte per Bus nach Dresden gefahren werden sowie weitere nach Halberstadt in Sachsen-Anhalt. »Die übrigen nehmen wir in Hermsdorf auf«, sagt Ramelow. Dort ist kurzfristig eine Halle mit Feldbetten hergerichtet worden. Ob die für Thüringen bestimmten Flüchtlinge noch in der Nacht dorthin gebracht werden, bleibt zunächst offen. Die Behörden wollen dies davon abhängig machen, wie die Registrierung vorankommt und wie müde die Flüchtlinge nach ihrer langen Fahrt sind. dpa/nd
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