Die Doppelspitze rauft sich zusammen

Trotz aller Gegensätze: Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht vertreten öffentlich auch gemeinsame Positionen

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 4 Min.
Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht als Doppelspitze: Ein Ding der Unmöglichkeit, fanden viele. Doch die beiden zeigten in jüngster Zeit, dass sie zu gemeinsamen Kompromissen fähig sind.

Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht gemeinsam an der Spitze der Bundstagsfraktion: Kann das gut gehen? Beide sind zwar ostdeutscher Herkunft und in derselben Partei, doch unterschiedlich sozialisiert, sowohl politisch als auch gesellschaftlich. Der 1958 in Vorpommern geborene Bartsch wurde einst zum Studium ins spätsowjetische Moskau delegiert und hatte gute Aussichten, im SED-Apparat Karriere zu machen. Nach der Wende gründete er zusammen mit anderen die AG Junge GenossenInnen in der SED-PDS. Später war er für seine Partei, die im Laufe der Jahre gleich mehrmals den Namen wechselte, auf verschiedenen Positionen tätig: Bundesschatzmeister, zweimal Bundesgeschäftsführer und seit 2010 Bundestagsfraktions-Vize.

Die elf Jahre jüngere Sahra Wagenknecht kam in der DDR weniger gut zurecht als Bartsch. Erst der Zusammenbruch der realsozialistischen Ordnung ermöglichte ihr das Studium. Anders als der Reformer Bartsch gehörte die Tochter eines iranischen Studenten und einer Kunsthändlerin dem linken Parteiflügel an. Lange Zeit war sie die wohl prominenteste Vertreterin der Kommunistischen Plattform (KPF) bis sie im Vorfeld ihrer Kandidatur für den stellvertretenden Parteivorsitz 2010 ihre Mitgliedschaft bei der KPF ruhen lassen musste.

Nach jahrelanger Ko-Vorsitzendentätigkeit in der Fraktion sollen Bartsch und Wagenknecht diese nun führen. Das heißt, sie müssen auf umstrittenen Politikfeldern auch Mehrheiten organisieren. Weil beide aus verschiedenen Spektren der Partei kommen, die in einigen Fragen gegenteilige Positionen vertreten, scheint das nicht einfach. Etwa in der Europapolitik. Aus Enttäuschung über die Zustimmung einer großen Mehrheit der Fraktion zur Verlängerung des griechischen »Hilfsprogramms« hatte Wagenknecht im März gar erklärt, dass sie »nicht für die Funktion einer Fraktionsvorsitzenden kandidieren werde«. Bartsch hingegen gehörte zu jenen, die die Entscheidung der Fraktion öffentlich und vehement verteidigten.

Knapp vier Monate und einen Rücktritt vom Rücktritt später veröffentlichten die beiden aber ein gemeinsames Papier zur Griechenlandkrise, worin der Bundesregierung eine »gnadenlose Erpressung« Athens vorgeworfen wurde.

Es gibt also durchaus Fragen, auf die beide ähnliche Antworten finden. Die Frage etwa, ob man mit der SPD auf Bundesebene eine Koalition anstreben sollte. Bereits vom März 2014 datiert das gemeinsame Strategiepapier »Wir sind die Opposition«. Darin warnen sie vor einer zu schnellen Öffnung der Partei für Bündnisse mit der SPD. »Die LINKE muss ein unverwechselbares Gesicht haben und behalten«, heißt es dort wörtlich.

Jüngstes Beispiel für die Kooperation der zukünftigen Doppelspitze ist ein Positionspapier zur Flüchtlingskrise. Darin sehen beide »westliche Staaten unter der Führung der USA« als Hauptverantwortliche für die Destabilisierung des Nahen und Mittleren Ostens und fordern »eine friedliche Außenpolitik« ohne weitere »Beteiligung an Kriegen und NATO-Militärinterventionen«.

Die drei Papiere zeigen, dass in parteiintern strittigen Grundsatzfragen, wie der Friedenspolitik und dem Verhältnis zur SPD, Kompromisse durchaus möglich sind. Da auch führende Sozialdemokraten mehrfach erklärten, nach der Bundestagswahl 2017 auf keinen Fall mit der LINKEN koalieren zu wollen, wird die Partei wohl nicht in Verlegenheit kommen, etwaige Szenarien diskutieren zu müssen.

Die ganz großen fraktionsinternen Konflikte werden die beiden Vorsitzenden in dieser Legislatur wohl nicht bewältigen müssen. Der bisherige Fraktionschef Gregor Gysi konnte mit seinem Charme auch streitlustige Gemüter beruhigen, aber Kraft seiner Autorität auch mal ein Machtwort sprechen. Über die Rollenverteilung bei der zukünftigen Zusammenarbeit zwischen Bartsch und Wagenknecht kann hier nur spekuliert werden, da die Büros beider Politiker vor der Wahl keine diesbezüglichen Fragen beantworten wollten. Die beiden so unterschiedlichen Charaktere könnten sich durchaus ergänzen. Auch für die Außendarstellung der Fraktion kann der neue Dualismus von Vorteil sein: Hier der eloquente Bartsch, der mit seiner ruhigen Art vielen den Wind aus den Segeln nimmt. Dort die entschlossene wirkende Kapitalismuskritikerin, die jene anspricht, die sich von der Partei mehr erwarten als geräuschloses Regieren in ostdeutschen Bundesländern.

Ob das so unterschiedliche Duo in der Fraktion funktioniert, wird sich zeigen. Auch wenn viele Medien oft den gegenteiligen Eindruck verbreiten: Die vermeintliche Blockbildung bei den LINKEN mit pragmatischen, regierungsaffinen Reformern auf der einen und antikapitalistischen Fundamentalisten auf der anderen Seite entspricht nicht der Fraktionsrealität. Kompromisse werden nicht nur bilateral ausgehandelt. Denn unter den 64 Abgeordneten der Fraktion sind 20, die sich nicht so leicht verorten lassen. Jener Gruppe, von Spöttern auch als »Mittelerde« bezeichnet, gehören neben der Parteichefin Katja Kipping so prominente Genossen wie Axel Troost, Jan van Aken und Martina Renner an. Abrüstungsexperte Van Aken und die im NSA-Ausschuss sitzende Renner waren sogar als Kandidaten für den Fraktionsvorsitz im Gespräch.

Offenbar können auch die Blockfreien mit der Doppelspitze leben. Axel Troost begrüßte im Juni die rasche Klärung der Nachfolge von Gysi. So werde der Partei eine langwierige Personaldebatte erspart, betonte Troost. Zumal mit der Neubesetzung an der Spitze ein Parteitagsbeschluss vom Mai 2014 umgesetzt wird. In dem von zwei Westverbänden initiierten Antrag wurde die Fraktion aufgefordert, bis Ende des Jahres »eine quotierte Doppelspitze zu wählen«.

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