Welt ohne Geld
Gabriele Oertel über Träume von der Revolution und den Revolver auf dem Nachttisch
Zugegeben, mit Utopien habe ich es nicht so. Vielleicht liegt es daran, dass der letzte, den ich aufrichtig für seine Fantasie bewundert habe, Towarischtsch Nagulnow hieß, in Kremjatschi Log in den 1930er Jahren die Kollektivierung in der sowjetischen Landwirtschaft vorantrieb, auf seinem Nachttisch stets einen Revolver zu liegen hatte, aber in seinen Träumen die Weltrevolution als friedlichen, fröhlichen, vor allem bunten Tanz aller Ethnien erlebte.
Mag sein, dass ich skeptisch wurde, weil es mit dem Heißsporn aus »Neuland unterm Pflug« kein gutes Ende nahm, die Aktionen gegen die Kulaken Jahrzehnte später durchaus kritische Bewertung erfuhren - und selbst die Schöpferkraft von Nagulnows Schöpfer immer mal wieder bezweifelt wird. Jedenfalls ist es nicht nur mit der Weltrevolution nichts geworden. Und Utopien habe ich fortan nicht viel abgewinnen können. Weil ich Angst vor Neuem habe? Weil ich mir weitere Enttäuschungen ersparen will? Weil es mit »diesen Menschen« sowieso nichts wird?
Vermutlich spielt das alles eine Rolle. Doch wenn schon nicht Weltrevolution - Weltverbesserung ist geboten. Die Vorstellungen von einer anderen Welt kommen stets »ohne« irgendwas daher: eine Welt ohne Ausbeutung, eine Welt ohne Grenzen, eine Welt ohne Kriege, eine Welt ohne Geld. Letzteres scheint mir entscheidend. Denn Ausbeutung, Grenzen, Kriege - ohne Gier nach Geld und Vermehrung von Reichtum nur der Anhäufung wegen dürfte das alles sich erledigt haben. Aber geht das überhaupt, wo doch bisherige Ansätze - ob nun per Tausch oder über Regionalwährungen Dinge und Dienstleistungen abgerechnet werden - in den Kinderschuhen steckengeblieben sind?
Wenn Utopien Entwürfe einer fiktiven Gesellschaftsordnung sind, die nichts mit zeitgenössischem Rahmen zu tun haben, muss der Wurf ein gewaltiges Stückchen größer sein. Aber ich bin da optimistisch. Nicht nur, weil inzwischen gar nicht wenige Menschen der sprichwörtlichen 99 Prozent sehen, dass das eine Prozent von Anbetern des schnöden Mammons Mensch wie Natur ruiniert. Auch, weil die technologische Revolution etwas mit uns allen macht. Schließlich schien das meiste, was uns heute selbstverständlich umgibt, früheren Generationen unvorstellbar.
Bis das Geld abgeschafft ist, halte ich es allerdings mit Nagulnow - wenn auch in der pazifistischen Variante: Ich lege meine Kontoauszüge direkt neben das Bett. Und das weniger, weil ich Angst vor Utopia habe, sondern weil es noch dauern wird, bis die Banken nicht mehr mit unserem Geld ihr fröhliches Tänzchen machen können.
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