Europa im rechten Würgegriff

Der Angriff der Rechtsextremen auf die EU kommt aus mehreren Richtungen. Ab Juli könnte er eine neue Dimension erreichen

EU-Rechtsdrall: Europa im rechten Würgegriff

Erfinderisch sind sie schon, die Rechtsaußenparteien im Europäischen Parlament. Zumindest was die Namen ihrer Fraktionen anbelangt. »Identität und Demokratie« oder »Europäische Konservative und Reformer« – dass sich dahinter extrem europa- und demokratiefeindlichen Parteien verbergen, wissen nur jene, die näher auf die europäische »Volksvertretung« schauen. Demnächst könnte ein weiterer klangvoller Titel hinzu kommen: Die Souveränisten. Die neue Fraktion ist eine Erfindung der am 9. Juni gewählten 15 deutschen AfD-Abgeordneten, die man in der I&D-Fraktion nicht mehr haben will. Nach der Potsdamer »Remigrations«-Konferenz und den Umtrieben des Spitzenkandidaten Maximilian Krah fürchtet man bei I&D Nestbeschmutzung. Wird doch gerade das Ansehen der Fraktion aufpoliert, um insbesondere für die Konservativen kooperationsfähig zu werden. An den politisch-ideologischen Positionen ändern entschärfte Sprache und öffentlich zelebrierter Abstand zu Neonazis freilich nichts. Mit ein paar weiteren rechten Splitterparteien könnte es den Souveränisten gerade so zum Fraktionsstatus reichen, der den Mitgliedern Geld und Einfluss im Parlament garantiert. Denn mit eine Quote von wenigstens 23 Parlamentarier*innen aus mindestens sieben Ländern liegt die Latte recht hoch. Zwar fand die Fraktionsbildung in dieser Woche entgegen den Erwartungen nicht statt, allerdings wurden die Pläne auch nicht dementiert.

Wie groß die Gefahr ist, die von den neuen Rechtsfraktionen im Europaparlament ausgeht, lässt sich schwer einschätzen. Alle diese Fraktionen haben bei der Europawahl zwischen 6. und 9. Juni deutlich an Abgeordneten hinzu gewonnen – zwischen neun und 14 Sitzen, wobei der Zuschnitt der Gruppierungen noch nicht endgültig ist. »Die rechten Abgeordneten nutzen zwar ausgiebig die ihnen zustehende Redezeit, um ihre demokratiefeindlichen Positionen vorzutragen«, sagt der Europaexperte Jan Rettig gegenüber »nd«. Die Erfahrung aus den vergangenen Legislaturen sei aber auch, »dass sie in der eigentlichen Sacharbeit dann doch eher weniger präsent sind.« Trotzdem bleibe es eine große Gefahr, dass Rechtsextreme und Rechtspopulisten das EU-Parlament als Bühne nutzen, um sowohl in die europäische als auch in ihre jeweilige nationale Öffentlichkeit zu wirken, betont der Politikwissenschaftler.

Offensichtlich wollen es solche Parteien wie der französische Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen oder Giorgia Melonis Partei Fratelli d’Italia (FdI) jedoch nicht bei den verbalen Attacken belassen. Vor allem Italiens Regierungschefin greift offen nach Machtpositionen in der EU.

Zugute kommt Meloni & Co. dabei die seit Jahren andauernde Durchsetzung europäischer Regierungen mit Rechtsaußenparteien; teilweise stellen sie sogar die Regierungsspitzen. In den Niederlanden regiert Geert Wilders mit seiner PVV mit, in Finnland sitzt die rechtspopulistische Finnen-Partei am Kabinettstisch, der rechts-autokratische Viktor Orbán scheint das Amt des ungarischen Premiers gepachtet zu haben, der Nationalist Robert Fico absolviert gerade seine dritte Amtszeit als Ministerpräsident der Slowakei. Und selbst dort, wo die Extremrechte keine Minister*innen stellt, diktiert sie zumindest in Teilen die Agenda der Regierungen. So ist der harte Schwenk Schwedens hin zur »Eindämmung der Immigration« nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass die Regierung von den rechtspopulistischen Schwedendemokraten gestützt wird. Letztlich spiegelt sich das auch in der Verschiebung des politischen Diskurses und bei Entscheidungen auf europäischer Ebene wider, insbesondere im Rat, dem entscheidenden Gremium der Regierungen, aber auch in der EU-Kommission. So lobte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ausdrücklich das von Italien Ende 2023 mit Tirana ausgehandelte Abkommen über die Errichtung zweier italienischer Flüchtlingslager auf albanischem Boden als »Modell für Europa«. Ob der nicht nur in der Migrationsfrage sichtbare Anbiederungskurs von der Leyens Zeichen ihrer Rechtsoffenheit ist oder ob Meloni die Kommissionspräsidentin einfach vor sich hertreibt, wird heftig diskutiert. Ein Indiz für Letzteres könnte sein, dass sich Meloni am Donnerstagabend bei der Entscheidung über eine zweite Amtszeit von der Leyens enthielt.

EU-Spitzenpersonal nominiert

Die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Staaten haben am Donnerstagabend beim EU-Gipfel in Brüssel mit großer Mehrheit den Personalvorschlägen der großen europäischen Parteienfamilien zugestimmt. Die deutsche Konservative Ursula von der Leyen wurde für eine zweite Amtszeit als EU-Kommissionspräsidentin nominiert. Nächster Ratspräsident wird der frühere portugiesische Regierungschef António Costa. Die estnische Regierungschefin Kaja Kallas ist als EU-Außenbeauftragte vorgesehen. dpa/nd

Der Rechtsdruck auf Rat und Kommission wird in den kommenden Monaten weiter wachsen. Denn ab Juli übernimmt Ungarn turnusmäßig für ein halbes Jahr die EU-Präsidentschaft – es leitet somit »die Geschäfte« des Rates. Damit drohe der Gemeinschaft »ein halbes Jahr Stillstand, Erpressung oder Blockade – vor allem bei den Themen Migration, Schutz des Rechtsstaats und der Unterstützung der Ukraine«, erklärte der Grünen-Europaabgeordnete Daniel Freund. Das EU-Parlament hatte im vergangenen Jahr mit einer – allerdings nicht rechtsverbindlichen – Entschließung den Rat ersucht, die ungarische EU-Präsidentschaft praktisch unter Vormundschaft zu stellen. Schließlich sei Budapest wegen seiner Verstöße gegen die EU-Grundrechte und -werte sogar verurteilt worden (die Blockade eines Teils von Geldern an Budapest wurde jedoch von der Europäischen Kommission wieder aufgehoben – mit der durch nichts gerechtfertigten Begründung, die Orbán-Regierung halte sich inzwischen wieder an Rechtsstaatlichkeitsprinzipien der EU). Erfolgreich war der Vorstoß im Europaparlament aber nicht. Auch deshalb, weil der Rat diesem Vorhaben hätte zustimmen müssen.

Noch verschärfen könnte sich der Rechtsdrall im Rat, wenn tatsächlich Frankreich bei den Neuwahlen am Wochenende – oder in der Stichwahl nächste Woche – einen rechtsextremen Premier bekommen würde. Präsident Emmanuel Macron hatte das Parlament aufgelöst, nachdem demokratische Parteien bei der Europawahl katastrophal eingebrochen waren und die Le-Pen-Partei triumphierte. Für den Fall, dass RN-Mann Jordan Bardella Weneuer Regierungschef Franksreichs wird, hat er schon mal die Instrumente gezeigt: Er wolle die Zahlungen Frankreichs an die EU um jährlich drei bis vier Milliarden Euro reduzieren. Zwar würde Macron solchen Schritten sicher nicht zustimmen, unter Zugzwang dürfte der Staatschef trotzdem geraten.

Der Angriff auf die EU kommt aber nicht nur aus deren Inneren. Wenn im November in den USA Donald Trump erneut zum Präsident gewählt würde – wofür nach dem TV-Duell in der Nacht auf Freitag noch mehr spricht – dürfte er unter den Rechten in Europa einige Verbündete finden. So hat Marine Le Pen erklärt, die Politik, die sie vertrete, sei jene von Trump und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Zwar liegt diese Äußerung schon einige Zeit zurück, an deren Inhalt dürfte sich aber kaum etwas geändert haben. Auch Melonis Sympathien liegen wohl eher bei Trump, und Budapest hat sogar Anleihe an einem Trump-Slogan genommen: »Make Europe Great Again!« lautet das offizielle Motto der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft.

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