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Claus Peymann: Legende und Hündchenhüter
Zum Tod des Theatermenschen Claus Peymann
Und plötzlich bekomme ich elektronische Post. Von Claus Peymanns langjähriger Lebensgefährtin und Dramaturgin. Betreffzeile: »Dankeschön!« Womit habe ich denn das verdient, schoss es mir durch den Kopf. Fünf Jahre ist die Sache jetzt her.
Nun, nach kurzer Lektüre war der Fall klar. Es war wohl ein Missgeschick. An der an mich fälschlich adressierten letzten Nachricht hing allerdings noch ein anschaulicher Rattenschwanz dran. Es handelte sich um die Korrespondenz zwischen Claus Peymann und seinem Nachbarn, die der Qualität eines Bernhard’schen Dramas nahekommt.
Worum ging es? Peymann hatte seinen Nachbarn um einen freundschaftlichen Dienst gebeten. Der Regisseur gedachte, in Wien zu probieren. Und wollte seine Pflanzen gegossen wissen. Der Nachbar willigte ein. Der Bitte folgte das Einverständnis, dem folgte der Dank und der Dankesdank. Das alles aber in einer wunderschönen Sprache, die heute kaum noch jemand beherrscht.
Peymann stellt bald klar, befände sich sein Nachbar einmal in einer ähnlichen Situation, auch er stünde zur Verfügung. Und er fügt an: Notfalls würde er sogar ein Hündchen hüten, falls der Nachbar denn wieder eines hätte. Wie ich dem Schriftverkehr entnehme, ist ein neuer Hund tatsächlich »in Arbeit«.
Aber bei einem so unverbindlichen Angebot belässt er es nicht. Den Herrn Nachbarn und seine Frau möchte er nach Wien einladen. Zwei Tage in einem, wie er schreibt, guten und angenehmen Hotel. Er ließe das von jemandem organisieren, die wisse, welche Zimmer schön seien. Dazu gebe es zwei Karten für »Der deutsche Mittagstisch« am Theater an der Josefstadt (Regie: Claus Peymann) oder für »Die Stühle« (Regie: C. P.) am Burgtheater oder am selben Ort »Der Hosenkauf« (Regie: C. P.) oder eine Bernhard-Lesung (von und mit Claus Peymann).
Aber, ist weiter zu lesen, vielleicht reiche ja auch einmal Peymann in Wien. Peymanns Dankeschön, lässt der Nachbar wissen, sei angekommen. Und schlägt das Angebot aus. Ist das Bescheidenheit, das Bemühen um Distanz, sanfte Reue? Die hintersinnige Pointe folgt in diesem Drama alsbald: Die Pflanzen – sie sind allesamt eingegangen.
Bei Claus Peymann war alles Theater. Er selbst war ein großer Darsteller. Alles hübsch inszeniert. Mit Witz und Rhythmus. Eine Figur wie aus einem Lustspiel.
In Gesprächen habe ich häufig aus der fehlgeleiteten E-Mail zitiert. Immer war sie Anlass zu ausgelassener Heiterkeit. Wie überhaupt Claus Peymann für Theaterzuschauer meiner Generation, die ihn durch seine späte Arbeit am Berliner Ensemble kennenlernten, oft belächelt wurde.
Legendär ist die Geschichte, wie er in seiner Stuttgarter Zeit Geld für den Zahnersatz der inhaftierten Gudrun Ensslin sammelte.
Es war dieser unbedingte Glaube an die Macht des Theaters, sein herrschaftliches Auftreten, die Art der Selbstinszenierung und seine Regiearbeiten selbst, denen bei aller Könnerschaft immer etwas Verstaubtes anhaftete, die auf komische Weise irritierten. Da sagte einer, er wolle der Reißzahn im Arsch der Mächtigen sein, und dann verwandelt er das Brecht-Theater in ein Museum, vor dem allabendlich die Touristengruppen abgeladen werden.
Bei all dem Hadern mit der Theaterlegende Peymann, wie sie sich uns Nachgeborenen in ihrem Spätwerk und als öffentliche Figur zeigte, war da aber auch eine Ahnung. Die Ahnung, dass er es wirklich ernst meinte mit der Kunst. Dass man politisch auf ihn bauen konnte. Und dass da andere Zeiten gewesen sein müssen, in denen er das bundesrepublikanische und österreichische Theater aufgeschreckt und belebt hat.
1937 in Bremen geboren, begann Claus Peymann seine Regielaufbahn schon als Student. Vom Universitätstheater in Hamburg ging es Mitte der 60er Jahre an das Stadttheater in Heidelberg, übers Theater am Turm in Frankfurt an die hochpolitisierte Westberliner Schaubühne (wo es Peymann nicht lange aushielt).
Der erfolgreiche Regisseur Peymann wollte bald Intendant sein. Vom Staatsschauspiel Stuttgart, über das Schauspielhaus Bochum ging es bis an das Wiener Burgtheater und schließlich das Berliner Ensemble. Eine Karriere als Theaterkönig in verschiedenen Reichen von 1974 bis 2017.
Legendär ist die Geschichte, wie er in seiner Stuttgarter Zeit Geld für den Zahnersatz der inhaftierten Gudrun Ensslin sammelte, was (nicht nur) Baden-Württembergs christdemokratischen, zuvor stramm nationalsozialistischen, Ministerpräsidenten Hans Filbinger gegen ihn aufbrachte.
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Nicht weniger legendär seine Förderung und Durchsetzung großer Dramatiker: Mit Peter Handkes »Publikumsbeschimpfung« nahm etwa eine intensive Arbeitsbeziehung zwischen Autor und Regisseur ihren Anfang. Peymann war aber auch der Uraufführungsregisseur von Elfriede Jelinek, Peter Turini und vor allem Thomas Bernhard.
Seine Wiener Jahre waren wahrscheinlich die politisch und künstlerisch ergiebigste Zeit. Da schaffte es ein Theatermensch, ein ganzes Land gegen sich aufzubringen. Das ist kein geringes Verdienst.
Seine Selbstüberhöhung – er sprach von sich als aufgeklärtem Monarchen – provozierte nicht unverdient das eine oder andere Augenrollen. Aber man muss ihm zugutehalten, dass er andere Götter neben sich nicht nur duldete, sondern sie anzog: George Tabori, Peter Zadek und Einar Schleef konnten arbeiten, wo Peymann regierte.
Als der Skandalregisseur zur Jahrtausendwende das Berliner Ensemble übernahm, war die Enttäuschung groß, dass künstlerische Skandale ausblieben. Große Schauspieler hat er aber auch hier wie überall um sich geschart. Und zumindest für etwas Aufregung sorgte er, als er dem aus der Haft entlassenen Christian Klar einen Praktikumsplatz in Aussicht gestellt hatte.
Mit dem Ende seiner Berliner Intendanz war die Karriere des Regisseurs noch nicht vorbei. Er arbeitete weiter, am Theater an der Josefstadt und andernorts. Man glaubt zu wissen, dass dieser Theaterbesessene gar nicht anders gekonnt hätte.
Am 16. Juli ist Claus Peymann im Alter von 88 Jahren nach schwerer Krankheit in Berlin-Köpenick gestorben.
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