Flüchtlinge: Gauck wird moralisch - für »Begrenzung«

Schröder: »Hätte nicht gesagt: Wir schaffen das« / Altkanzler beschwört »Kapazitätsgrenzen« / Debatte in der Union über Merkel

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Berlin. Die Zufriedenheit mit der Regierung sinkt - das heizt die Debatte über den Kurs von Kanzlerin Angela Merkel an. Bundespräsident Joachim Gauck hat jetzt in einem WDR-Radiointerview »Begrenzungsstrategien« gegen Zuzug von Flüchtlingen als unter Umständen »moralisch und politisch geboten« bezeichnet. Gerade in dem Bemühen, möglichst vielen helfend zur Seite zu stehen, könne es begründet sein, »dass man nicht allen hilft«.

Altkanzler Gerhard Schröder von der SPD erklärte, »ich hätte nicht gesagt: Wir schaffen das«. Er bezog sich damit auf die inzwischen legendäre Aussage von Merkel zum Zuzug von Geflüchteten. »Ich hätte gesagt: Wir können das schaffen, wenn wir bereit sind, Voraussetzungen dafür hinzubekommen.« Da scheine das eine oder andere aber noch zu fehlen. Merkel handelte seiner Ansicht nach richtig, als sie im September vergangenen Jahres die Grenze zu Österreich für Flüchtlinge öffnete. Der Fehler sei nicht gewesen, über die gesetzlichen Regelungen hinwegzusehen. In der Situation habe kein Kanzler eine andere Entscheidung treffen können. »Der Fehler war, dass sie aus einer Ausnahmesituation den Anschein erweckt hat, das sei die neue Normalität«, meinte Schröder.

Laut einer aktuellen Umfrage sank die Zufriedenheit mit der Bundesregierung zuletzt deutlich. Nur 38 Prozent der Befragten zeigten sich mit der Arbeit der Bundesregierung zufrieden oder sehr zufrieden - das waren 13 Punkte weniger als im Vormonat. 61 Prozent waren weniger oder gar nicht zufrieden - 13 Punkte mehr als im Vormonat. Im Februar 2015 hatten sich noch 57 Prozent der Befragten mit der Bundesregierung zufrieden gezeigt. Dies wird auf die Debatte um die und die Politik in der Flüchtlingsfrage zurückgeführt.

CDU-Generalsekretär Peter Tauber zeigte Verständnis für das gesunkene Vertrauen in die Flüchtlingspolitik. »Viele wünschen sich, dass es sozusagen diesen einen Hebel gibt, den man umlegt und dann ist das Problem weg«, sagte Tauber dem Sender MDR INFO. »Wir sind einfach überzeugt, dass es diese einfache Lösung nicht gibt, dass es länger dauert als es sich viele wünschen.« Tauber verwies auf internationale Zusammenarbeit. Es liege an den anderen Ländern, mitzuziehen. »Ich glaube, wir müssen das ein Stück weit jetzt durchhalten, damit es am Ende gut wird. Ich bin fest davon überzeugt, dass es am Ende gelingt.«

Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer lobte den Kurs von Merkel in der Flüchtlingskrise. »Mir imponiert die Haltung der Bundeskanzlerin, den populistischen Strömungen zu widerstehen und Scheinlösungen nicht auf den Leim zu gehen«, sagte der Chef der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) dem »Handelsblatt«. »Die Kanzlerin arbeitet für eine nachhaltige und tragfähige gemeinsame europäische Lösung und hat dabei meine volle Unterstützung.«

Der Präsident des bayerischen Landkreistages, Christan Bernreiter (CSU), stärkte Merkel ebenfalls den Rücken. »Ich bin überzeugt davon, dass sie die Lage sehr wohl im Griff hat«, sagte der Deggendorfer Landrat der »Passauer Neuen Presse«. Nach Einschätzung von Grünen-Parteichef Cem Özdemir ist Merkel als Regierungschefin derzeit alternativlos. »Wenn ich mir das Personal in der Union anschaue inklusive der angeblichen Hoffnungsträger de Maizière und von der Leyen, dann gibt es zur Kanzlerin gegenwärtig keine personelle Alternative bei denen«, sagte Özdemir der »Rheinischen Post«. Insofern habe er »als Staatsbürger ein vitales Interesse daran, dass die Kanzlerin stark genug ist, um sich mit ihrer Haltung in der Flüchtlingspolitik in der Koalition durchzusetzen«. Alles, was die Merkel-Kritiker in der Union vorschlagen würden, »hält einer kritischen Überprüfung nicht stand. Wer jetzt die deutschen Grenzen schließen will, der trägt Europa zu Grabe und damit auch unseren wirtschaftlichen Erfolg«, so Özdemir.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Michael Grosse-Brömer forderte, die Erfolge in der Flüchtlingspolitik stärker herauszustellen. »Die Menschen in Deutschland sind von der Bundeskanzlerin gewöhnt, dass sie Probleme innerhalb kürzester Zeit löst«, sagte er der »Süddeutschen Zeitung«. Die Union habe Entscheidendes auf den Weg gebracht, um Flüchtlingszahlen zu reduzieren, meinte der CDU-Politiker. »Aber wir müsse sicherlich noch härter daran arbeiten, diese Erfolge auch zu kommunizieren.« Der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach mahnte, die Union müsse »kämpfen, kämpfen, kämpfen«, um erfolgreicher zu vermitteln, dass simple Lösungen nicht zu haben seien. »Wenn wir in der Flüchtlingspolitik bis zum Frühjahr auf europäischer Ebene nicht zu Ergebnissen kommen, werden wir den bisherigen Kurs nicht fortsetzen können«, sagte er der »Süddeutschen Zeitung«.

Der ehemalige Bürgerrechtler und letzte Verteidigungsminister der DDR, Rainer Eppelmann, ist überzeugt, dass Merkel ihre Flüchtlingspolitik aufgrund einer christlichen Grundüberzeugung betreibt und sich davon auch trotz rapide abnehmender Zustimmung im Kern nicht abbringen lassen wird. »Sie hat ihre Werte und Säulen, auf denen ihr Leben steht: Da ist ihr Elternhaus, ein evangelisches Pfarrhaus und eine diakonische Einrichtung, wo sie stets von hilfsbedürftigen Menschen umgeben war«, sagte er der »Mitteldeutschen Zeitung«. Helfen habe zum Alltag der Familie gehört. Auf die Frage, ob er es für ausgeschlossen halte, dass Merkel wegen der politischen Krise im Umgang mit Flüchtlingen zurücktrete, antwortete der 72-Jährige: »Ja, es sei denn, die Situation in Europa wird in den nächsten Wochen so niederschmetternd, dass ihre Erwartungen aussichtslos sind, der Kontinent könne die Flüchtlingskrise gemeinsam lösen.« Merkel und Eppelmann zählten im Herbst 1989 zu den Mitbegründern des Demokratischen Aufbruchs. Agenturen/nd

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