Linkssieg in Madrid

Vor 80 Jahren gewann in Spanien die Volksfront die Wahlen

  • Reiner Tosstorff
  • Lesedauer: 6 Min.

Hektik brach in Madrid am Abend des 16. Februar 1936 aus. Das Ergebnis der Parlamentswahlen war ein eindeutiger Sieg des linken Wahlbündnisses. Das aber war nicht die Absicht der spanischen Regierung gewesen, die die Wahlen nach einer Reihe von Korruptionsskandalen angesetzt hatte. Während die vom Innenminister aus dem Boden gestampfte Regierungspartei kläglich scheiterte, war noch viel wichtiger die Niederlage der Rechten, die als »Nationale Antirevolutionäre Front« aufgetreten waren. Und so versuchte deren Anführer mit Hilfe des Armeestabschefs, General Francisco Franco, beim Präsidenten die Ausrufung des Kriegsrechts zu erreichen. Dieser weigerte sich jedoch.

Fünf Jahre zuvor, am 14. April 1931, war die Monarchie gestürzt worden, die zuletzt nur noch durch das Militär regierte. Die Probleme des Landes waren ungelöst. Vor allem im Süden dominierte der Großgrundbesitz. Die katholische Kirche beanspruchte das Bildungsmonopol. Vor allem auf dem Lande, wo die Mehrheit der Bevölkerung lebte, blieb das Analphabetentum vorherrschend. Die Industrie war nur schwach entwickelt und auf den Norden des Landes, das Baskenland und Katalonien, konzentriert. Deren Einwohner beanspruchten aber nationale Autonomie aufgrund ihrer eigenen Sprache und Kultur.

1936 – ein Jahr der Volksfronten

Als erste Volksfront gründete sich die Front populaire in Frankreich am 12. Januar 1936, die zwei Jahre eine Linksregierung unter Léon Blum stellte.

Das erste Kabinett der am 15. Januar 1936 gebildeten Frente Popular in Spanien leitete Manuel Azaña, bis er im Mai des Jahres zum Staatspräsidenten gekürt wurde.

In Chile kam es am 6. Mai 1936 ebenfalls zur Gründung einer Frente Popular, die von 1938 bis 1941 regierte; das am 17. Dezember 1969 gebildete Wahlbündnis Unidad Popular stellte im November 1970 unter Salvador Allende eine Regierung, die 1973 weggeputscht wurde. Die auf Initiative von Willi Münzenberg und mit Unterstützung des Schriftstellers Heinrich Mann am 2. Februar 1936 im Pariser Hotel »Lutetia« ins Leben gerufene Deutsche Volksfront zerfiel zwei Jahre darauf an inneren Zerwürfnissen und äußerer Einmischung. nd

 

Die Republik trat nun an, diese Rückständigkeit zu überwinden. Sie beruhte auf einer Koalition von Sozialisten und linksbürgerlichen Republikanern, der jedoch ein bedeutender Teil der Arbeiterbewegung kritisch gegenüberstand. Als eine Ausnahme in Europa war die größte Gewerkschaft des Landes, die CNT (Confederación Nacional del Trabajo - Nationaler Bund der Arbeit), anarchistisch orientiert. Durch Streiks und »direkte Aktionen« versuchte sie, die Bewegung über einzelne Reformschritte hinaus voranzutreiben, ging dabei aber oft sektiererisch und ohne Berücksichtigung der Kräfteverhältnisse vor. Der neue republikanische Staat schlug hart zurück, was die Radikalisierung vorantrieb. Demgegenüber stellten die Kommunisten in diesen Jahren nur eine kleine Minderheit dar. Zudem waren sie gespalten: in die offizielle, auf die UdSSR orientierte Partei, und die oppositionellen, teils von Trotzki beeinflussten Kommunisten, die sich 1935 zur POUM (Arbeiterpartei der marxistischen Vereinigung) zusammenschlossen.

Als die Agrarreform den Großgrundbesitz in Frage stellte, geriet das Reformexperiment bei den bürgerlichen Republikanern jedoch schnell an seine Grenzen. Zugleich hatte von Anfang an monarchistisches Militär, versorgt mit dem Segen der Kirche, mobil gemacht. Verschwörungen wurden angezettelt, die aber noch umgehend niedergeschlagen werden konnten. So brach im Jahre 1933 das republikanisch-sozialistische Bündnis auseinander. Neuwahlen führten zu einer rechten Mehrheit. Spanien schien vor einer Konterrevolution zu stehen. Im Oktober 1934 kam es dagegen zu einem erfolglosen Aufstandsversuch der Linken. Auf eine Welle der Repression folgte die Rücknahme vieler Reformen. Doch fehlte der Regierung die Kraft, die Linke endgültig zu schlagen, sie war schließlich Anfang 1936 zu Neuwahlen gezwungen.

Bereits Monate zuvor hatte sich die Linke reorganisiert. Die Republikaner forderten eine Neuauflage der Koalition von 1931, doch nun zeigten sich die Sozialisten gespalten. Während der rechte Parteiflügel begeistert zustimmte, zeigte sich der neue linke Flügel um den Gewerkschaftsführer Largo Caballero aufgrund der gemachten Erfahrungen ablehnend und redete von einer revolutionären Perspektive. Auch die Kommunistische Partei, die langsam aufgrund des Prestiges der Sowjetunion und der Kommunistischen Internationale Zulauf gewann, sprach sich für eine Koalition aus, nach dem Vorbild der Volksfront in Frankreich. Das Wahlsystem erzwang jedenfalls ein Wahlbündnis, das sich offiziell »Wahlblock der Linken« nannte, dann aber, je nach der politischen Einstellung, auch als Volksfront bezeichnet wurde.

Diese Rechnung ging schließlich am 16. Februar auf. Während das Stimmenverhältnis nicht so eindeutig gewesen war (47 Prozent zu 46 Prozent), war das Sitzverhältnis ausschlaggebend (285 zu 131); dazu kamen noch einige kleinere Parteien der »Mitte«. Somit stand der Rechten kein parlamentarischer Weg mehr offen.

Die Regierungsbildung gestaltete sich schwierig, weil der linke Parteiflügel eine Regierungsbeteiligung der Sozialisten verhinderte. So kam eine ausschließlich von den Republikanern gestellte Regierung zustande. Auf der Straße allerdings hatte der linke Wahlsieg zu einer großen außerparlamentarischen Mobilisierung geführt. Die Amnestie für die nach dem Oktober 1934 verhafteten 30 000 wurde beschleunigt. Streiks erzwangen ihre Wiedereinstellung und große Lohnerhöhungen. Landbesetzungen machten Druck bei der Wiederaufnahme der Agrarreform.

Begleitet vom Straßenkampf rechter Kommandos gegen die Linke nahm die Verschwörung innerhalb des Militärs ihren Lauf. Was in der Wahlnacht noch am Unwillen der damaligen Regierung gescheitert war, wollten die Offiziere nun in eigener Regie durchsetzen. Bereits seit den Anfängen der Republik hatte es einen monarchistischen Offiziersgeheimbund gegeben. Dieser, aber mehr noch die monarchistischen Kräfte pflegten enge Kontakte vor allem nach Italien. Dazu gewann eine kleine faschistische Partei, die Falange, wachsenden Zulauf.

In dieser Situation zunehmender Radikalisierung und Polarisierung erwies sich die Beschränktheit der bürgerlichen Republikaner an der Regierung. Statt energisch gegen die Putschvorbereitungen vorzugehen, manövrierten sie, schickten verdächtige Offiziere an die Peripherie des Landes, um sie so von der Hauptstadt fernzuhalten. Doch das hielt sie nicht auf. Am Nachmittag des 17. Juli begann der Putsch. Er konnte zwar zunächst vielerorts niedergeschlagen werden, aber nur, weil zu den wenigen loyal gebliebenen Teilen der Armee die Arbeiterorganisationen hinzugestoßen waren. Doch mit der Entscheidung Hitlers und Mussolinis, die Putschisten unter General Franco zu unterstützen, sollte sich die Lage ändern. Aus einem Bürgerkrieg wurde eine internationale Auseinandersetzung, das Vorspiel zum Zweiten Weltkrieg.

Spanien geriet unter das faschistische Joch, aus dem es aber 1945 nicht herauskam, weil Franco sich schnell dem Westen als Bündnispartner andiente. Die Diktatur konnte erst eine Generation später, nach dem Tod Francos im Jahre 1975, und nach harten Kämpfen durch einen Pakt von Teilen der Eliten des Regimes mit der Opposition abgelöst werden. Das ermöglichte zwar breite demokratische Freiheiten, doch die soziale Stellung der Herrschenden wurde kaum angetastet und die Aufarbeitung der Hinterlassenschaft der Diktatur verdrängt. Dazu gehörte nicht zuletzt die Korruption, die dann wesentlich zum Absturz des Landes in der Krise ab 2010 beitrug.

Viele ungelöste Probleme sind nun wieder zurückgekehrt. Aber es ist auch, fast wie 1935, zu einer breiten Mobilisierung gekommen, die die Chance hat, zu einer Erneuerung der Linken beizutragen. Dies zeigte sich in den Wahlerfolgen linker Bündnisse im letzten Jahr, bei denen die neue Partei Podemos eine gewichtige, wenn auch keineswegs ausschließliche Rolle spielt. Welche Zukunftschancen ein wirklicher Linksruck haben wird, lässt sich heute nur in allgemeinen Zügen sagen. Gewiss ist allerdings, dass die endgültige Aufarbeitung und damit Beerdigung der vierzigjährigen Franco-Diktatur eine der zentralen Aufgaben für die Erneuerung des Landes sein muss.

Selbst wenn es politisch fantasielos ist, einfach nur eine Wiederholung der Geschichte zu beschwören, wäre es aber auch ein Verzicht auf eine Lehre der Geschichte, darauf zu vertrauen, dass dies einfach geschehen kann, ohne dass die Rechte dagegen mobil machen wird.

Unser Autor ist Privatdozent an der Universität Mainz.

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