Das freundliche Gesicht

Beata Szydło macht in Polen die nationalkonservative Regierungsarbeit. Von Holger Politt , Warschau

  • Holger Politt
  • Lesedauer: 4 Min.

Sie tut, wofür Jarosław Kaczyński sowohl Neigung wie politisches Temperament fehlen - sie führt die Regierungsarbeit. In herausgehobener Position ist Beata Szydło eine der wichtigsten politischen Figuren im gegenwärtigen Machtspiel der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) in Polen. Außerdem bemüht sich Polens Ministerpräsidentin nicht ganz ohne Erfolg, diesem Gefüge auch das freundliche Gesicht zu geben.

Situationen, in denen das höchste Regierungsamt aus taktischen Gründen von Parteileuten übernommen wird, die zuvor kaum gehandelt wurden, sind Polens Öffentlichkeit nicht unbekannt. Zuletzt hatte PiS-Chef Jarosław Kaczyński dieses Stück aufgeführt, als im Herbst 2005 völlig überraschend Kazimierz Marcinkiewicz zum Ministerpräsidenten gekürt wurde.

Der erhoffte Wahlsieg von Zwillingsbruder Lech Kaczyński im Rennen um das Präsidentenamt sollte nicht mehr gefährdet werden. Erst im Sommer 2006 übernahm dann der PiS-Vorsitzende dieses Amt, wobei sich schnell erweisen sollte, wie wenig ihm das mühselige Geschäft der Regierungsarbeit auf die Haut geschrieben war.

1993 und 1997 gab es ähnliche Situationen. Aleksander Kwaśniewski und Marek Krzaklewski, die unumstrittenen Führer ihrer siegreichen Formationen, hatten bereits auf das Präsidentenamt geschielt, mit dem sie den eigenen politischen Werdegang krönen wollten. Die Chancen beim Wahlvolk sollten nicht unnötig geschmälert werden durch einen Posten, auf dem man sich in jenen unruhigen Jahren schnell verbrauchte, wie es 1990 beispielhaft der Fall von Ministerpräsident Tadeusz Mazowiecki allen gezeigt hatte.

Einen umgekehrten Fall demonstrierte erst Donald Tusk, als er Anfang 2010 großzügig seinen Verzicht auf das Rennen um das höchste Staatsamt erklärte. Er schickte statt seiner Bronisław Komorowski vor. Der amtierende Ministerpräsident erklärte damals der staunenden Öffentlichkeit, er wolle viel lieber weiterregieren. Kaum reizen könne ihn hingegen die Aussicht, künftig die Kronleuchter im Präsidentenpalast bewachen zu müssen.

Das war zwar zuallererst als Hieb gegen Lech Kaczyński gedacht, um klar zu zeigen, wo das eigentliche politische Machtzentrum zu finden sei, doch sprach sich darin zugleich eine klare politische Vision aus: Die Musik im politischen Geschäft spiele künftig eindeutig im Parlament und in der hier gewählten Regierung, dem direkt gewählten Staatspräsidenten komme eher eine repräsentative und verfassungshütende Bedeutung zu.

Jarosław Kaczyńskis Sicht auf die höchsten politischen Ämter ist immer eine andere gewesen. Auch deshalb witterte er vor Jahresfrist eine riesengroße Chance. In der ruhigen und betont regierungsfreundlichen Amtsführung von Präsident Komorowski erkannte er eine entscheidende Schwachstelle im Regierungssystem der Wirtschaftsliberalen, sobald die Zugkraft der Regierungsarbeit deutlich nachließ. Es galt also, der Direktwahl des Staatspräsidenten ein wenig den Anstrich eines Plebiszits über die Regierungsarbeit zu verleihen, was auch gelang. Die Wahlkampfchefin für Andrzej Duda aber hieß Beata Szydło.

Zuvor war die aus Oświecim (dem ehemaligen Auschwitz) stammende Szydło einer breiteren Öffentlichkeit in Polen kaum bekannt gewesen. Seit 2005 sitzt die studierte Ethnographin für PiS im Parlament. Ihren großen Durchbruch schaffte sie mit dem Wahlsieg Dudas. Alle Welt machte die frische und angriffslustige Kampagne für den Sieg verantwortlich. Das strahlende Gesicht der agilen PiS-Frau war nun allgegenwärtig. Ohne lange zu zögern machte Kaczyński sie zur nationalkonservativen Spitzenkandidatin für seine letzte Wahlschlacht gegen die ihm verhasste Regierung der Wirtschaftsliberalen.

Die sozialen Wahlversprechungen der Duda-Kampagne wurden aufgegriffen und ausgebaut, sie bildeten den Kern der Regierungserklärung vom November 2015. Die Einführung eines gesetzlichen Kindergeldes in Höhe von umgerechnet 120 Euro ab dem zweiten Kind, die Senkung des gesetzlichen Renteneinstiegsalters für Frauen auf 60 und für Männer auf 65 Lebensjahre sowie weitere finanzielle Entlastungen für Geringverdiener und Rentner stehen ganz oben auf der politischen Agenda. Szydło versprach, dieses Programm in den kommenden Monaten umzusetzen. Mit den erzkonservativen, insbesondere familienpolitisch gestimmten Teilen der Regierungsvorstellungen sowie mit den teils sehr sperrigen außenpolitischen Hauptlinien traten andere Regierungsmitglieder ans Licht der Öffentlichkeit.

Szydłos Position im PiS-Gefüge wird folglich zuallererst von der schnellen Umsetzung der sozialen Versprechungen abhängen. Allerdings gibt es anders als 2005/06 bei Marcinkiewicz kaum Druck aus den eigenen Reihen auf die Ministerpräsidentin. Der Druck der Opposition konzentriert sich fast völlig auf Duda und Kaczyński. Solange die das aushalten, wird niemand am Stuhl der Ministerpräsidentin sägen.

Beata Szydło hat einen Posten inne, um den sie wahrlich niemand beneiden sollte. Dennoch ist der Bereich, in dem sie sich als eine Spitzenpolitikerin profilieren könnte, gar nicht so klein.

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