Paris: Radikale gegen Radikale
Frankreichs Regierung will mit scharfen Gesetzen Terror und Islamisierung begegnen
Ein Jahr nach den Terroranschlägen in Paris auf »Charlie Hebdo« und Hyper Casher hat sich die Zahl der radikalisierten Islamisten in Frankreich verdoppelt, wird in einem in dieser Woche veröffentlichten Bericht des Innenministeriums festgestellt.
Von den 20 000 Personen, die von Polizei, Gendarmerie oder Inlandsgeheimdienst DGSI in der Datei S (für Sécurité d’Etat - Sicherheit des Staates) geführt werden, unterliegen 11 700 einer Überwachung ihres Telefons, ihres Internetverkehrs und der Bewegungen auf ihrem Bankkonto. Von den so Überwachten gelten heute 8250 als »radikal«, während es im März 2014 erst 4015 waren. So wird eingestuft, wer in seiner Umgebung die Propaganda des IS-Kalifats verbreitet und Kämpfer für den Krieg in Syrien anwirbt. Der Anstieg geht allerdings nicht nur auf die stärkeren Aktivitäten der radikalen Islamisten zurück, sondern auch auf die gesteigerte Beobachtung durch die Sicherheitskräfte und nicht zuletzt durch die immer zahlreicheren Hinweise aus dem familiären Umfeld dieser Personen. Besonders gehäuft treten solche Fälle in den Ballungsgebieten - Pariser Region und die Großstädte Lille, Lyon, Toulouse und Nizza mit der jeweiligen Umgebung - auf.
Im Gegensatz zur verbreiteten Meinung, dass die Radikalisierung vor allem über Internet und die entsprechenden Propaganda-Seiten und -Videos erfolgt, wird in dem Bericht festgestellt, dass dem in 95 Prozent der Fälle ein persönliches Ansprechen durch einen bereits radikalen Islamisten vorausging. Bemerkenswert ist, dass etwa die Hälfte der Hinweise durch beunruhigte Familienangehörige oder durch Lehrer erfolgen, die die breit publizierte Hilfsdienst-Telefonnummer des Innenministeriums nutzen. Das Profil der radikalisierten Islamisten ist besorgniserregend. Jeder Fünfte ist jünger als 18 Jahre, rund 40 Prozent sind Frauen und 38 Prozent sind erst unlängst zum Islam übergetreten. Jeder Zehnte radikalisierte Islamist beabsichtigt, so bald wie möglich nach Syrien zu gehen.
Gleichzeitig treffen die Maßnahmen, die die Regierung gegen die wachsende Terrorgefahr ergreift, mehr und mehr auf Kritik. Die Polemik konzentriert sich auf die geplante Aberkennung der Staatsangehörigkeit für jeden, der terroristischer oder anderer gewalttätiger Aktivitäten gegen die Republik überführt wird. Da dies jedoch nur für Bürger mit doppelter Staatsangehörigkeit möglich ist, weil laut Völkerrecht niemand zum Staatenlosen gemacht werden darf, kritisieren viele die Ungerechtigkeit dieser Maßnahme. Außerdem wird Präsident François Hollande vorgeworfen, dass er damit auf eine alte Forderung der Rechten eingeht, auf deren Stimmen er für die von ihm geplanten Verfassungsänderungen angewiesen ist.
Dabei soll auch der Rückgriff auf den Ausnahmezustand vereinfacht und dies im Grundgesetz verankert werden. Bei dieser Gelegenheit will die Regierung den Ausnahmezustand noch einmal um drei Monate bis Ende Mai verlängern lassen. Doch dafür hat sie längst nicht mehr die Unterstützung der Masse wie kurz nach den Anschlägen von Mitte November. Ausdruck dessen war am Freitag die Debatte in der Nationalversammlung, wo Premier Manuel Valls den Entwurf der Verfassungsänderungen und den Antrag für die Verlängerung des Ausnahmezustandes begründet hat. Zahlreiche, vor allem linke, aber auch einige rechte Abgeordnete brachten dabei ihren Widerstand gegen den scharfmacherischen Kurs der Regierung zum Ausdruck. Cécile Duflot von der Partei der Grünen sprach von einem »die Werte der Republik gefährdenden Abdriften in einen permanenten Ausnahmezustand mit Sondervollmachten für die Sicherheitskräfte« und verglich dies - zur Empörung des Regierungschefs - mit den Zuständen unter dem Kollaborationsregime von Vichy.
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