Scherben aus weißem Gold
19 Millionen Euro Verlust: Die Porzellanmanufaktur Meißen ist mit ihrer Luxusstrategie gescheitert
Am nächsten Freitag beginnt in Frankfurt (Main) die »Ambiente«, die weltgrößte Messe für Inneneinrichtung, Hausrat und den »gedeckten Tisch«. Fast 5000 Aussteller werden erwartet, unter ihnen an Stand B 51 in Halle 4 ein Rückkehrer: Die Staatliche Porzellanmanufaktur Meißen tritt auf der Messe auf, »erstmals nach Jahren wieder«, wie ein Fachblatt der Hotel- und Gastrobranche anmerkte. Es ist ein Schritt, der sich als Eingeständnis eines Scheiterns lesen lässt.
Jahrelang hatte sich die Porzellanmanufaktur in einer höheren Liga gewähnt. Statt im Frankfurter Messetrubel hatte man die neuen Produkte in Paris vorgestellt, bei opulenten Schauen mit Häppchen und Sekt in einer eigens gemieteten Villa. Um Porzellan schien es nur noch am Rande zu gehen. Auch Imagefilme des Unternehmens zeigten edle Colliers und mondäne Kleider, Möbel, Taschen und nackte Haut; Figuren oder Geschirr aus dem »weißen Gold«, das seit 1710 in Meißen produziert wird, musste man dagegen suchen.
Die ausufernde Produktpalette war Ausdruck eines ehrgeizigen Kurses, mit dem Ex-Geschäftsführer Christian Kurtzke die Manufaktur ab 2008 vom Porzellanhersteller zum Luxushersteller umbauen wollte. Sie mündete in einem Scherbenhaufen. Vor einigen Wochen musste das Unternehmen, das vollständig dem Freistaat Sachsen gehört, für das Jahr 2014 einen Rekordverlust von 19,2 Millionen einräumen. Zu den Gründen zählt, dass der Neuaufbau von Segmenten wie Möbel und Schmuck hohe Summen verschlingt - und dass Reiche in China und Italien nicht wie erhofft auf Luxus aus Meißen fliegen. Ein Tochterunternehmen in Mailand wurde faktisch abgeschrieben.
Kurtzke muss die tiefroten Zahlen nicht mehr erklären: Er wechselte im Frühjahr 2015 zu Porsche Design. Seit Herbst ist auch der Mann nicht mehr im Amt, der dem Manager den Rücken freihielt: Ex-Ministerpräsident Kurt Biedenkopf gab den Chefposten im Aufsichtsrat ab. Inzwischen versucht man in der Manufaktur offenkundig, das Ruder herumzureißen. Tillman Blaschke, der neue Geschäftsführer, sprach im Interview in der »Sächsischen Zeitung« von einer »Strategiepräzisierung«, die derzeit laufe. Er merkte zudem ausdrücklich an, dass Porzellan noch immer für 87 Prozent des Umsatzes sorgt.
Landespolitikern treibt die Nachricht über die dramatischen Verluste Sorgenfalten auf die Stirn. Sebastian Scheel, Finanzexperte der LINKEN, sieht bereits »verhängnisvolle Parallelen« zu einem anderen Unternehmen des Freistaats, der Landesbank. Diese ging nach Spekulationen am internationalen Finanzmarkt im Sommer 2007 fast pleite und konnte nur per Notverkauf gerettet werden. Das Muster ist das gleiche, sagt Scheel: »Von Großmannssucht getriebene« Manager, die »das ganz große Rad« drehen wollen - und die Rechnung dem Steuerzahler überlassen. Sachsen bürgt für die Landesbank mit 2,75 Milliarden Euro; die Hälfte dieses Betrags wurde bisher fällig.
Wie teuer die Meißner Extravaganzen für das Land werden, ist offen; Finanzminister Georg Unland (CDU) habe kürzlich im Finanzausschuss eine Einschätzung des Risikos »verweigert«, sagt Scheel. Zuletzt hatte das Land der Manufaktur 2014 einen zweistelligen Millionenbetrag zukommen lassen - indem unter anderem Tausende Formen für Figuren und Geschirr von einer eigens gegründeten Stiftung angekauft wurden. Schon in den Jahren davor gab es Millionen an Darlehen. Im Landtag fordert man nun eine politische Debatte dazu, welchen Kurs Sachsen für die Manufaktur mit ihren 650 Beschäftigten anstrebt. Sie »gehört dem Freistaat zu 100 Prozent«, sagte die Grüne Franziska Schubert, »damit ist der Freistaat auch 100 Prozent in der Verantwortung.«
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.