»Zermürbt, enttäuscht, frustriert«

Im Fall der Loveparade-Katastrophe von 2010 ist auch zwei Jahre nach der Anklageerhebung kein Prozess in Sicht

  • Helge Toben, Duisburg
  • Lesedauer: 3 Min.
Fünfeinhalb Jahre ist die Loveparade-Tragödie von Duisburg in NRW bereits her. Doch noch immer ist nicht klar, ob es überhaupt einen Strafprozess geben wird.

Aus diesen Worten spricht die Verbitterung vieler Hinterbliebener: »Sie sind zermürbt, enttäuscht, frustriert, wütend, in tiefer Trauer darüber, dass sie für den Tod ihrer Angehörigen vor Gericht noch keine Gerechtigkeit fordern konnten. Ihre Kinder sind sehr unschuldig gestorben«, sagt Jörn Teich. Er hat die Massenpanik mit zahlreichen Toten 2010 miterlebt und kümmert sich unter anderem in der Stiftung »Duisburg 24.7.2010« um Betroffene. Mehr als fünfeinhalb Jahre nach dem Unglück befänden sich viele noch in psychologischer Behandlung.

Doch die juristische Aufarbeitung lässt auf sich warten. Vor zwei Jahren, am 10. Februar 2014, erhob die Staatsanwaltschaft Duisburg Anklage gegen sechs Mitarbeiter der Stadt und gegen vier Mitarbeiter des Veranstalters. Ihnen werden fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung vorgeworfen. Seitdem prüft das Landgericht Duisburg im sogenannten Zwischenverfahren, ob eine Verurteilung im Hauptverfahren wahrscheinlich ist. In diesem Frühjahr soll nun endlich eine Entscheidung fallen, auf die sehr viele Menschen warten. An einem Zu- und Abgang zum Festivalgelände der Technoparade in Duisburg wurden damals 21 Menschen erdrückt, mindestens 652 erlitten Verletzungen.

Gerichtssprecher Matthias Breidenstein betont, die Richter müssten jeden Aspekt minutiös prüfen. Beim Landgericht Duisburg umfasst die sogenannte Hauptakte zur Loveparade-Katastrophe mit den wichtigsten Unterlagen mittlerweile über 46 700 Seiten und füllt 99 Aktenordner. Daneben gibt es mehr als 800 Ordner mit ergänzendem Aktenmaterial. Zahlreiche Stunden Videos von Überwachungskameras und Handys kommen bei der Prüfung dieses Falls hinzu: Die elektronischen Akten zur Katastrophe umfassen mittlerweile fast zehn Terabyte an Daten. Veranstalter war das Unternehmen Lopavent des Fitnessketten-Besitzers Rainer Schaller. Vier damals leitenden Beschäftigten des Unternehmens wirft die Staatsanwaltschaft unter anderem vor, ein ungeeignetes Zu- und Abgangssystem für die Veranstaltung geplant zu haben. Alle Besucher sollten über eine einzige Rampe auf das ehemalige Güterbahnhofsgelände gelangen und auch wieder herunter kommen. »Es soll für diese Beschuldigten vorhersehbar gewesen sein, dass es im Verlauf der Veranstaltung zwangsläufig zu lebensgefährlichen Situationen kommen musste, da zu viele Menschen auf engem Raum zusammengedrückt würden«, hieß es 2014 in einer Gerichtsmitteilung. Drei Sachbearbeiter des Bauamtes sollen die Genehmigung für bauliche Maßnahmen wie etwa die Einzäunung erteilt haben, ohne dass die formellen und inhaltlichen Voraussetzungen dafür vorlagen. Die Sicherheit der Besucher sei aufgrund von Planungsfehlern nicht gewährleistet gewesen. Drei Vorgesetzte sollen wiederum das Baugenehmigungsverfahren nicht ordnungsgemäß beaufsichtigt haben. Unter ihnen ist der mittlerweile pensionierte Beigeordnete für Stadtentwicklung.

Allen zehn Beschuldigten wirft die Staatsanwaltschaft zudem vor, für eine zusätzliche Verengung der Rampe am Veranstaltungstag verantwortlich zu sein. Durch aufgestellte Zäune war die Rampe an der schmalsten Stelle nicht mehr 18,28 Meter, sondern nur noch 10,59 Meter breit. Zentrales Beweismittel der Staatsanwaltschaft ist ein Gutachten des britischen Panikforschers Keith Still. Gut ein Jahr nach Anklageerhebung schickte das Landgericht ergänzende Fragen an Still. Zudem mussten Verteidiger dann dazu Stellung nehmen können, so dass es bis November 2015 weitere Schriftsätze für das Gericht gab.

Die 5. große Strafkammer hat drei Optionen: Es gibt keinen Prozess, weil Verurteilungen unwahrscheinlich sind. Es gibt gegen einen Teil der Angeklagten einen Prozess. Oder alle Beschuldigte sitzen im Hauptverfahren auf der Anklagebank. Jörn Teich glaubt nicht, dass es zum Prozess kommt. »Wenn doch, wird es aber keine Verurteilung geben. Dafür ist so viel Material aufgefahren worden, dass das nicht mehr möglich ist.« dpa/nd

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