Die dialektische Vorwahl der Demokraten
Im US-Bundesstaat New Hampshire liegt Sanders vor Clinton und Trump muss zeigen, dass er auch gewinnen kann
Das Quasi-Remis der beiden demokratischen Präsidentschaftskandidaten Hillary Clinton und Bernie Sanders bei der ersten US-Vorwahl in Iowa hat dem Duell der nächsten Runde in New Hampshire zusätzliche Spannung verliehen. Die ehemalige Außenministerin Clinton, vorige Woche nur 0,2 Prozent vorn, und der linke Senator Sanders verstärkten in diesem Bundesstaat mit überwiegend weißer, gut situierter Bevölkerung ihren Kampf um unentschlossene Wähler. Deren Anteil ist bei der dortigen Vorwahl bis zum Wahlvorabend traditionell besonders hoch. Er macht laut »Washington Post« »die Hälfte aller Stimmberechtigten« aus. Sanders, als Senator aus dem benachbarten Vermont in New Hampshire mit Heimvorteil, liegt in Umfragen im Verhältnis von 2:1 vorn. Clinton erklärte, sie würde schon einen nur einstelligen Rückstand auf den Senator als ermutigend für die folgenden Vorwahlen betrachten.
Die letzte Debatte der beiden Präsidentschaftsanwärter vor New Hampshire war von größerer Schärfe und erster Giftigkeit geprägt. Im Mittelpunkt stand der Streit darum, was »progressiv« bedeute und wer gegen die Republikaner besser abschneiden würde. Sanders plädierte dafür, dass sich die Demokraten ihrer sozialer Werte besinnen. Clinton gab an, Erreichbares anzustreben statt in Träumereien zu verfallen. Sie warf Sanders Verleumdung vor, wenn er unterstelle, der Empfang von Redehonoraren durch Firmen der Wall Street belege ihre Bestechlichkeit. Gemessen daran, dass Bill Clinton und seine Frau nach dem Ausscheiden aus dem Weißen Haus mit Reden weit über 100 Millionen Dollar kassierten, behauptete Hillary Clinton etwas überraschend, sie sei »Feindin der Wall Street« und keine Verbündete.
»Guardian«-Reporter Dan Roberts verwies in diesem Zusammenhang auf einen Aussetzer von Sanders: »Ein nervöser Sanders versäumte es in diesem Moment zu sagen, dass Clinton erst eine Woche zuvor eine Spendengala von Hedge-Fonds-Managern in Philadelphia besuchte.« Wie nervös aber auch das Clinton-Team ist, zeigte sich am Sonntag in Milford (New Hampshire): Dort beschimpfte Ex-Präsident Bill Clinton Bernie Sanders als heuchlerisch, unehrlich und »hermetisch abgeschlossen«.
In der Debatte zur Außenpolitik hatte Hillary Clinton ihrem Rivalen vorgeworfen, keine klare Zukunftsvision zu besitzen. Als dieser an ihr »Ja« 2002 zum Irak-Krieg erinnerte, erwiderte die damalige Senatorin für New York: »Eine Stimmabgabe 2002 ist kein Plan zur Vernichtung des Islamischen Staats. Wir müssen den heutigen Gefahren ins Auge sehen.«
Wie Eugene Joseph Dionne Jr., Kolumnist der »Washington Post«, schreibt, sei die Rivalität beider Demokraten »intellektuell interessant«, da es zwischen beiden Kandidaten weniger Unterschiebe gebe, als es scheint. Die Konturen des Streits seien wesentlich von Hillary Clintons Profil als einer gemäßigten Fortschrittlichen und Sanders' Sympathie für einen demokratischen Sozialismus definiert. »Die schärfsten programmatischen Unterschiede zeigen sich bezüglich der Kernideen von Sanders: Zerschlagung der größten Banken, Einführung einer Krankenversicherung mit nur einem Versicherten pro Familie sowie Studiengebührenfreiheit an öffentlichen Colleges und Universitäten.« Clinton setze hier auf Einzelschritte, während Sanders größer durchgreifen wolle. Sanders sei davon überzeugt, dass für fortschrittliche Reformen das bestehende Machtkonstrukt beseitigt werden müsse, so Dionne. »Deshalb ist er auch so auf die Beseitigung der korrumpierenden Macht des großen Geldes in der Politik fokussiert.« Fazit des Kolumnisten: »Viele Demokraten mögen beide Kandidaten. Die geteilte Meinung der Partei ist ein Grund, weshalb Sanders energischer agiert, als von vielen erwartet. Nennen Sie es die dialektische Vorwahl: Die Demokraten suchen nach einer Synthese von Reform und Revolution.«
Bei den Republikanern haben nach Iowa Rick Santorum, Rand Paul und Mike Huckabee aufgegeben; damit sind noch neun Kandidaten im Rennen. Die Hauptfragen in New Hampshire lauten, ob Krawallkandidat Donald Trump wirklich eine Wahl gewinnen - und ob Florida-Senator Rubio seinen dritten Platz von Iowa wiederholen und seine Rolle als neuer Liebling des Parteiestablishments festigen kann.
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