Kein Neonazi-Dorf, aber ...
Im Zuge des Altermedia-Verbots wurde auch ein Objekt in Südthüringen durchsucht
Man muss schon relativ weit fahren, um vom Stadtzentrum Sonnebergs nach Haselbach zu gelangen - auch wenn Haselbach seit etwa zwei Jahren ein Ortsteil der Kreisstadt ganz im Süden Thüringens ist. Etwa eine Viertelstunde dauert die Fahrt durch den Wald nach Norden.
Dort angekommen, deutet auf den ersten Blick nichts auf die Nazis hin, die sich in diesem Dorf, ja in der ganzen Region seit langem schon zu Hause fühlen. Haselbach sieht aus wie so viele kleine, verschlafene, gemütliche Dörfer im Thüringer Wald. Die Häuser groß und schön verschiefert, der Ort liegt in einem tief eingeschnittenen Tal.
Vor wenigen Tagen war es hier allerdings mit der Ruhe ziemlich plötzlich vorbei. Nach Augenzeugenberichten rollten gegen sieben Uhr morgens auf einmal mehrere Polizeiautos mit Bonner Kennzeichen vor einem der Häuser des Ortes vor. Die Insassen der Fahrzeuge durchsuchten dann das Haus einer Einwohnerin, die seit langem als Anhängerin der rechten Szene und Mitglied der NPD bekannt ist. Im Ort ist das ein offenes Geheimnis. Die Frau hat immer wieder Veranstaltungen von Rechtsextremen in ihrem Haus ermöglicht. Man kennt sich in Haselbach. Und man weiß, wenn Fremde im Dorf sind.
Die Durchsuchungen damals waren Teil eines Schlags des Staates gegen rechtes Gedankengut im Internet: Die Bundesanwaltschaft hatte in mehreren Bundesländern die Wohnungen von Menschen durchsuchen lassen, die im Verdacht stehen, Teil einer kriminelle Vereinigung zu sein und über die Web-Plattform Altermedia rechtsextremes Gedankengut zu verbreiten. Die Durchsuchung in Haselbach - durchgeführt von Polizisten des Bundeskriminalamtes (BKA), daher die Bonner-Kennzeichen an den Autos der Beamten - war die einzige in diesem Zusammenhang im Freistaat. Nach Angaben des Internetportal »Blick nach Rechts« wurden dabei ein 27-Jähriger aus St. Georgen im Schwarzwald, und eine 47-Jährige aus Bielefeld festgenommen. Mehrere Stunden waren die BKA-Leute nach Angaben der Augenzeugen im Haus der Frau in Haselbach. Noch währenddessen verbot das Bundesinnenministerium Altermedia. Das Forum war über Jahre hinweg eines der wichtigsten für die Neonazi-Szene in Deutschland gewesen, hatte zuletzt aber wegen des Aufstiegs von sozialen Netzwerken wie Facebook bereits an Bedeutung verloren.
Ob die BKA-Polizisten in Haselbach Gegenstände beschlagnahmt haben, ist bislang unklar. Verhaftet wurde die Frau jedenfalls nicht. Ein Sprecher der Bundesanwaltschaft will mit Rücksicht auf das laufende Strafverfahren im Zusammenhang mit Altermedia nicht mal bestätigen oder dementieren, dass es bei der Frau eine Durchsuchung gab. Aber mit Blick auf die rechtsextremen Verflechtungen in Haselbach, ja der gesamten Region Sonneberg ist ohnehin noch interessanter, wer nach den Berichten der Augenzeugen zu der Frau kam, als die Polizei gerade bei ihr war.
Glaubt man diesen Schilderungen, dann soll nämlich der Thüringer »Gebietsleiter« der Holocaust-Leugner-Organisation »Europäische Aktion« (EA) zu der NPD-Frau gegangen sein - mutmaßlich, um sie moralisch während der Polizeiaktion zu unterstützen. Auch er wohnt in Haselbach.
Ist Haselbach damit ein Neonazi-Dorf? Kaum, denn als solches wollen nicht mal linke Beobachter der rechten Szene Haselbach beschreiben. Immerhin, sagen sie, könnten die Einheimischen ja grundsätzlich und erst einmal nichts dafür, dass vor einiger Zeit sowohl die NPD-Frau aus Franken als auch der EA-Mann aus Sachsen dorthin gezogen seien. Dann folgt bei ihnen einen großes »aber«... Denn sehen sie in Haselbach durchaus Mechanismen am Werk, die punktuell überall in Deutschland wirken, wenn Rechtsextreme auf der Suche nach einem Zuhause sind.
Entscheidend: Wo ein Nazi wohnt, zieht es auch andere Nazis hin. Vielleicht nicht unbedingt in das gleiche Dorf - man muss ja auch das passende Haus dort finden -, wohl aber in die nähere Umgebung und so ist es nicht überraschend, dass es in Sonneberg starke rechtsextreme Strukturen gibt, die dort über Jahre gewachsen sind. Nicht zufällig beispielsweise sitzen im Prozess vor dem Landgericht Erfurt wegen des mutmaßlich rechtsextremen Überfalls auf eine Kirmesfeier in Ballstädt Anfang 2014 gleich drei Nazis auf der Anklagebank, die aus Sonneberg stammen. Insgesamt hat die Staatsanwaltschaft Erfurt wegen der Gewalttat vierzehn Männer und eine Frau angeklagt. Zwei der Sonneberger sind auch in der Rechtsrock-Band »Ungeliebte Jungs« aktiv, die als eine der wichtigsten Neonazi-Bands Thüringens gilt. Und wie so viele Rechtsextreme sind mindestens zwei von ihnen bereits unter anderem wegen Gewalttaten polizei- beziehungsweise justizbekannt.
Und neben dem engeren Raum um die Stadt Sonneberg gibt es in der gesamten Region seit Jahren bestehende Neonazi-Strukturen: Bekannte Szenemitglieder wohnen beispielsweise auch in Lauscha oder in Neuhaus am Rennweg. Insofern, sagen linke Szenebeobachter, sei Haselbach, sei Sonneberg, sei die gesamte Region typisch für die rechte Szene im Freistaat: In eigentlich allen Landesteilen gebe es Nazis, die überall über eine gute Infrastruktur verfügen könnten, sagen sie. Selbst in Städten, die als so bunt gelten wie Erfurt oder Jena.
Woher das »aber« kommt? Weil die dörflichen Gemeinschaften zwar eben freilich grundsätzlich nichts dafür können, dass irgendwann ein erster Rechtsextremer zu ihnen gezogen ist. Wohl aber, dass sie häufig mindestens mittelbar einen Anteil daran haben, dass andere Neonazis sich dann zum Zuzug dorthin animiert fühlen - weil der erste Rechtsextreme sich dort relativ frei entfalten kann; sich dort vielleicht sogar in seinem Treiben ermuntert sieht. So, wie das in Haselbach und Sonneberg augenscheinlich der Fall ist.
Ebenfalls nicht zufällig ist deshalb eine Beobachtung: Als Neonazis aus vielen Teilen Thüringens gegen die Errichtung eines Flüchtlingsheims in der Stadt protestierten, waren unter den Teilnehmern dieser Kundgebung schließlich auch viele Menschen, die sich selbst eher dem bürgerlichen Lager zuordnen würden; während Widerstand aus der Mitte der Gesellschaft gegen den Neonazi-Aufmarsch völlig ausblieb.
So wohl können sich Rechtsextreme daher in der Region im Süden mit ihren verschieferten Häusern, den V-Tälern und den Wäldern fühlen, dass eine Detail der dortigen Neonazi-Struktur dann wiederum doch etwas Besonderes ist, selbst für Thüringen Verhältnisse: Dort agieren nämlich mit der NPD-Frau, dem EA-Mann sowie anderen Akteuren der thüringischen und fränkischen Szene Menschen miteinander, die für recht unterschiedliche Strömungen am rechten Rand der Gesellschaft stehen. Auch die Neonazi-Szene ist nämlich nicht homogen, sondern ziemlich vielschichtig. In der Vergangenheit haben sich beispielsweise NPD-Anhänger und Mitglieder von freien Kameradschaften sowie anderer, noch radikalerer Gruppierungen gegenseitig vorgeworfen, mit ihrem jeweiligen Auftreten und ihren jeweiligen Aktionen »der Sache« zu schaden.
Zwar lässt sich inzwischen bundesweit beobachten, dass die Szene diese Differenzen zunehmend überwindet. Doch in Haselbach, ja der Region Sonneberg wird diese Einigkeit eben schon länger vorgelebt. Die Frau mit NPD-Parteibuch, deren Haus die BKA-Beamten vor wenigen Tagen durchsuchten, hatte Mitte des vergangenen Jahr erst einer ziemlich neuen Neonazi-Partei erlaubt, sich in ihrem Objekt zu gründen: »Die Rechte Thüringen«. Vor einigen Jahren wäre so was noch ziemlich schwer vorstellbar gewesen.
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