Szydlo sieht Polen durch Flüchtlinge bedroht
Rechtsregierung will Zuwanderer vorher aussortieren / PiS-Ministerpräsidentin zu Berlin-Besuch erwartet / Soziologe: Warschau neigt zu antideutscher Rhetorik
Berlin. Die polnische Ministerpräsidentin Beata Szydlo fordert kurz vor ihrem Besuch in Berlin abermals eine »Kehrtwende« in der Flüchtlingspolitik - was als Signal gegen die von Kanzlerin Angela Merkel verfolgte Politik verstanden werden darf. Sydlo zufolge wurden in der Flüchtlingspolitik »Fehler gemacht«. »Die Lage an den Außengrenzen der EU und auch in Deutschland ist außer Kontrolle geraten«, sagte die rechtskonservative Politikerin.
Ihre Regierung wolle sich zwar an die Absprachen ihrer liberalen Vorgänger halten, die die Aufnahme von 7.000 Flüchtlingen zugesagt hatten. Szydlo kündigte allerdings an, dass die Rechtsregierung in Warschau »sehr genau darauf achten« werde, »wer die Zuwanderer sind, die wir eventuell aufnehmen, ohne dass unsere Staatsbürger sich bedroht fühlen müssen.« Es sei inzwischen »das geschehen, wovor wir gewarnt haben, als unsere Vorgänger die Beschlüsse gefasst haben: die Terroranschläge von Paris, die Sex-Attacken an Silvester in Köln. Tag für Tag hören wir von Übergriffen, an denen Zuwanderer beteiligt sind. Das heißt: Wir haben die Gefahr unterschätzt«, so Sydlo.
Merkel empfängt Szydlo am Mittag mit militärischen Ehren im Bundeskanzleramt. Szydlo gehört der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) an. Die deutsch-polnischen Beziehungen sind seit deren Regierungsantritt schwieriger geworden - dem Rechtsregime wird vorgeworfen, Pressefreiheit und Unabhängigkeit der Justiz zu beschränken sowie autoritär auf die Besetzung von Schlüsselpositionen zu setzen.
Die Linkspartei forderte derweil von der EU abermals finanzielle Konsequenzen gegenüber Polen, wenn die neue Regierung dabei bleibe, »sich jetzt jeder Solidarität in der Flüchtlingsfrage zu verweigern«. Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht sagte dem Redaktionsnetzwerk, »es kann nicht sein, dass das ohne Konsequenzen bleibt«. Sie hege zwar gegenüber der Bundeskanzlerin »keine hohen Erwartungen«, aber »die Sorge über den Zustand der polnischen Demokratie und ihr Missfallen über das unsolidarische Verhalten in der Flüchtlingskrise sollte sie schon zum Ausdruck bringen«. Polen habe schließlich hohe Zahlungen aus EU-Mitteln bekommen.
Der polnische Soziologe Jacek Kucharczyk sieht bei der Rechtsregierung die Tendenz, Deutschland zum »Sündenbock« zu machen. So könne Deutschland der schwarze Peter in der Debatte um eine von Warschau geforderte dauerhafte Stationierung von NATO-Truppen in Polen und anderen ostmitteleuropäischen Ländern zugeschoben werden, sagte der Leiter des Instituts für Internationale Angelegenheiten (ISP) in Warschau. Berlin ist da zum Ärger der neuen Regierung in Warschau zurückhaltend. »Was sie (die regierenden Nationalkonservativen aber) nicht erwähnen, ist die ganz ähnliche Haltung der USA«, sagte Kucharczyk. Die Regierung Szydlo sei gegenüber Deutschland hin- und hergerissen, meint Kucharczyk: »Einerseits ist sie auf den guten Willen Deutschlands angewiesen, um auf dem NATO-Gipfel ein möglichst gutes Ergebnis zu erzielen. Auf der anderen Seite fällt es ihr schwer, der antideutschen Rhetorik zu widerstehen, die ihre Wähler-Klientel erwartet.« Hinzu kommt der Streit um die Aufnahme von Flüchtlingen. Die neue Regierung zeigt Deutschland in dieser Frage die kalte Schulter. Agenturen/nd
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