Ein Parlamentssitz für fünf Euro
Eine originelle Hamburger Idee zur Spendenfinanzierung wird in diesem Jahr 20 Jahre alt
Mit über 3400 Mitgliedern dürfte das Hamburger Spendenparlament das größte Parlament der Welt sein. Bestimmt ist es eins der herzlichsten Parlamente: Jede Sitzung endet segensreich. Seit Gründung im Jahr 1996 wurden über 1100 soziale Projekte mit mehr als zehn Millionen Euro unterstützt. Jetzt wurde das 20-jährige Bestehen gefeiert.
Die Grundidee ist simpel: Es geht um Spenden gegen Armut, Obdachlosigkeit und Einsamkeit. Das Geld soll die Bedürftigen in voller Höhe erreichen, und die Spender sollen ein Mitspracherecht darüber haben, an wen die Summen in welcher Höhe verteilt werden.
Damit war das Spendenparlament geboren. Der damalige Leiter des Diakonischen Werkes Hamburg, Stephan Reimers, hob es am 9. Februar 1996 auf der konstituierenden Sitzung im Hamburger Rathaus aus der Taufe.
Das Parlament war damit zugleich das Kernstück einer ganzen Reihe von sozialen Projekten, die Reimers zuvor angeschoben hatte. Im Jahr 1993 war es die Obdachlosenzeitung »Hinz&Kunzt«, 1994 die »Hamburger Tafel«, 1995/96 kamen die »Kirchenkaten«, 1996 der »Mitternachtsbus« für Obdachlose. Diakoniechef Reimers wusste, dass diese Projekte immer mal wieder auch in Schwierigkeiten geraten könnten. Darum suchte er nach einer verlässlichen Finanzierungsidee und kam auf das Spendenparlament.
Jedes Mitglied zahlte anfangs mindestens zehn D-Mark im Monat, heute sind es fünf Euro. Dafür bekommt man Sitz und Stimme im Parlament und entscheidet mit über die Verwendung der Gelder. Zur konstituierenden Sitzung im Hamburger Rathaus kamen 800 Gäste. Wenig später wurde zur ersten Parlamentssitzung ins Auditorium Maximum der Universität eingeladen. Mittlerweile tagt man im Hörsaal A im Hauptgebäude der Universität.
Ein halbes Jahr nach Gründung hatte das Parlament 2000 Mitglieder, Ende des Jahres 1996 waren es 2500. Bereits im ersten Jahr wurden 49 Projekte gegen Armut, Obdachlosigkeit und Einsamkeit mit 650 000 D-Mark gefördert. Unterstützt wurden bis heute Suppenküchen, Kleiderkammern, Schularbeiten-Hilfen, Arbeitsloseninitiativen, Beratungsstellen, Nachbarschaftstreffs, Seniorenchöre, Therapiereisen, Frauengruppen und vieles mehr. Es gab Zuschüsse für Anschaffungen aller Art - oder eine komplette Kostenübernahme: für Behindertenbusse, für Obdachlosen-Sommercamps, für Kinderferien, für Kücheneinbauten, für Spielgerät. Im Internet gibt es auf www.spendenparlament.de eine Liste aller Projekte mit genauer Beschreibung samt Fördersumme, penibel bis auf einen Euro genau. Mitglied im Spendenparlament kann nach wie vor jeder werden, der sich mit fünf Euro pro Monat beteiligt. Das Parlament tagt dreimal im Jahr und ist weder politisch, weltanschaulich oder konfessionell gebunden. Jede Mitarbeit ist ehrenamtlich, alle Sachaufwendungen sind Spenden.
Die Idee fand bald Nachahmer: In Deutschland und im europäischen Ausland gibt es heute über 20 Spendenparlamente, darunter in Wien, Zürich, Basel und Brüssel, in Bonn, Berlin, Dortmund, Görlitz und Kiel. 2001 wurde das Spendenparlament mit dem Hamburger Bürgerpreis ausgezeichnet.
Der Gründer Stephan Reimers - er ist heute 72 Jahre alt - hat seine eigene Person dabei nie in den Vordergrund gestellt. »Hamburg ist eine wunderbare Stadt mit vielen sozial eingestellten Menschen«, sagt er. Man müsse ihnen nur konkrete Möglichkeiten geben, Gutes zu tun. Dafür habe er »ein paar Ideen geliefert - mehr nicht«. epd/nd
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