Hartz holt auch noch das Letzte raus

Betroffene sollen Leistungen erstatten, wenn sie einen
 Job nicht annehmen

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 3 Min.
Es soll die ganze große Nummer werden: Wer künftig die Annahme eines Jobangebotes verweigert oder gekündigt wird, der muss sich auf langfristige und folgenreiche Kürzungen des Regelsatzes einstellen.

Es soll die ganze große Nummer werden: Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) will die Hartz-IV-Bürokratie entschlacken und Regeln vereinfachen. Anfang Februar verabschiedete das Bundeskabinett den entsprechenden Gesetzentwurf, der in der Presse auf ein überwiegend positives Echo stieß. Demnach soll das Arbeitslosengeld II, bekannt und berüchtigt als Hartz IV, zukünftig für zwölf Monate statt bisher für sechs Monate bewilligt werden. Das erspart Sachbearbeitern und Erwerbslosen viel Papierkram und Lauferei. Zudem sollen Menschen, die neben dem Arbeitslosengeld auch Hartz IV beziehen, nicht mehr vom Jobcenter, sondern von der Bundesagentur für Arbeit betreut werden. Bereits im August dieses Jahres, so die Planungen, sollen die Änderungen in Kraft treten.

Neben einigen nachvollziehbaren Reformpunkten enthält das Paket jedoch auch viele unerfreuliche Überraschungen für Langzeitarbeitslose, etwa die Anrechnung von Nachzahlungen aus anderen Sozialleistungen als einmalige Einnahme.

Doch die schlimmste Neuerung versteckt sich in den Tiefen des Entwurfs. Wie das Online-Forum »gegen-hartz.de« nun meldete, soll »jede Sanktion, welche aufgrund der Nichtannahme einer zumutbaren Arbeit erfolgt (…) automatisch einen Rückforderungs- und Aufrechnungsanspruch auslösen«. Sprich: Wer eine ihm angebotene Arbeit nicht annimmt oder sie hinschmeißt, dem kann der Regelsatz auf Dauer gekürzt werden. Bislang gilt eine einmalige Sanktion für drei Monate. Wer sich unauffällig verhält, der bekommt danach wieder den vollen Regelsatz. Mit der geplanten Verschärfung, so der Sozialrechtler Harald Thomé in einer Stellungnahme zum Entwurf, »wird faktisch eine zusätzliche Sanktion eingeführt«. Neben der dreimonatigen Kürzung des ALG II »muss der Betroffene künftig auch das ALG II erstatten, welches er und die anderen Mitglieder seiner Bedarfsgemeinschaft weniger erhalten hätten«, so Thome. Dahinter steckt der Gedanke, dass die Lohnzahlungen die Bedürftigkeit vermindert hätten.

Konkret geht es um Ersatzansprüche bei »sozialwidrigem Verhalten«. Diese Formulierung stammt nicht aus einem NS-Gesetzbuch. Sie gehört vielmehr zum Vokabular, dessen man sich im Sozialgesetzbuch II, das die Hartz-IV-Angelegenheiten regelt, bedient. Bislang galt hier eine Ersatzpflicht nur in Ausnahmefällen, etwa bei kriminellen Handlungen. Neu ist, dass dieser Anspruch »erheblich ausgeweitet« wird, wie Thomé warnt. Etwa bei »Erhöhung oder Aufrechterhaltung der Hilfebedürftigkeit«, zum Beispiel durch selbst verschuldeten Jobverlust. Im nd-Gespräch betont Thomé, diese Änderungen seien der »gravierendste Punkt« in den Rechtsverschärfungen. »Meine Prognose ist, dass die Jobcenter in fünf Jahren jeden zweiten Hartz-IV-Bezieher mit Rückerstattungsforderungen überzogen haben«, so Thomé.

Im federführenden Bundesarbeitsministerium will man sich nicht in die Karten schauen lassen. Auf nd-Anfrage erklärte ein Ministeriumssprecher, man werde »zum jetzigen Zeitpunkt nicht tief einsteigen (…) in die Exegese von Gesetzentwürfen, deren parlamentarische Beratung noch ansteht«. Die Regelungen im Gesetzentwurf stünden »zunächst für sich und werden auch ausführlich begründet«.

Der Sprecher verwies auf den entsprechenden Paragrafen 34. Dort steht tatsächlich, dass vom Amt ein Erstattungsanspruch geltend gemacht werden kann, »wenn eine Beschäftigung ohne wichtigen Grund abgelehnt wird und dadurch die Hilfebedürftigkeit aufrechterhalten bleibt oder in denen der Wechsel in eine günstigere Steuerklasse verweigert wird«. Somit bestätigt das Ministerium indirekt die Kritik von Harald Thomé.

Besonders perfide: Die Ausweitung des Ersatzanspruches gilt auch für Sachleistungen, also Lebensmittelgutscheine, die Sanktionierte vom Jobcenter erhalten, damit sie nicht hungern müssen. Würde der Änderungsvorschlag aus dem Bundesarbeitsministerium umgesetzt, dann wäre so ein Lebensmittelgutscheine »nicht mehr geschenkt, sondern muss dem Amt durch großzügige Aufrechnung von 30 Prozent des Regelbedarfes zurückgezahlt werden«, wie Thomé schreibt.

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