Nächtlicher Diplomatieerfolg im Bayerischen Hof
Syrien-Kontaktgruppe einigte sich am Vorabend der eigentlichen Münchener Sicherheitskonferenz auf Drei-Punkte-Plan für Waffenruhe
Die Münchener Sicherheitskonferenz, die einstige Wehrkundetagung, findet derzeit bereits zum 52. Male statt. Die einen bezeichnen sie als weltweit wichtigstes informelles Treffen zur Außen- und Sicherheitspolitik. Weniger regierungsnahen Beobachtern gilt sie dagegen vorwiegend als Wohlfühloase für Kriegs- und Rüstungslobbyisten mit reichlich Provokationspotenzial. Für beiderlei Sichtweisen hat München im Laufe der Jahrzehnte hinreichend Begründungen geliefert. Konferenzleiter Wolfgang Ischinger, einst Staatssekretär im Auswärtigen Amt, hat aber mit seiner Entscheidung, das aktuelle Treffen auf die Suche nach einem Friedensansatz in Syrien zu fokussieren, ohne Zweifel Begrüßenswertes geleistet.
Die häufig hohen und höchsten Vertreter der Konfliktparteien und Anrainerstaaten, die sich im Hotel Bayerischer Hof in München eingefunden haben, können sich dort fernab protokollarischer Hindernisse und ungestört austauschen. Ministerpräsidenten von Haidar al-Abadi (Irak) bis Manuel Valls (Frankreich) und dazu Außen- oder Verteidigungsminister aller in der Sache wichtigen Staaten - Ausnahme Syrien - konnten genau deshalb schon in der Nacht von Donnerstag zu Freitag eine substanzielle Vereinbarung präsentieren.
Die Vereinbarung wurde von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier zwar mit dem Segen der fünf Schlüsselstaaten USA, Russland, Saudi-Arabien, Iran und Türkei an die Öffentlichkeit gegeben. Allerdings wissen alle Beteiligten, dass es sich hier erst einmal nur um ein wenig verbindliches Stück Papier handelt. Dennoch ist dies bereits mehr, als der quälende Protokollkrampf vor zwei Wochen in Genf zu Wege brachte.
Jetzt geht es an die Umsetzung. Was sind die Absprachen wert? Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier hielt sich am Freitag bedeckt: »Wir kennen die Erfahrungen der Vergangenheit, deshalb spreche ich heute nicht von einem Durchbruch. Ob das ein Durchbruch war, wird sich in den nächsten Tagen beweisen müssen.«
Bisher wurde von den NATO-Staaten einhellig die russische Schützenhilfe für den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad als Haupthindernis für eine Einigung der Konfliktparteien Syriens genannt. Die Gegner Assads wollten erst verhandeln, wenn die russischen Luftangriffe auf die Regierungsgegner im Raum Aleppo aufhörten. Allerdings waren sie auch vorher nicht zu Gesprächen mit Assads Abgesandten bereit und hatten Rückendeckung vor allem von Frankreich, Saudi-Arabien und der Türkei.
Auch am Freitag hat sich daran rein verbal nichts geändert. Während selbst NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg die Vereinbarung für eine weitreichende Waffenruhe in Syrien begrüßte, kommen aus Frankreich störende Nebengeräusche. Präsident François Hollande verlangte ein Ende der russischen Unterstützung Assads. »Wir müssen dafür sorgen, dass Baschar al-Assad die Macht abgibt«, sagte Hollande im französischen Fernsehen. In London teilte Außenminister Philip Hammond mit: »Wenn die Vereinbarung funktionieren soll, wird dieses Bombardieren enden müssen.«
Da wurde aber wohl bewusst aneinander vorbeigeredet, denn Russlands Außenminister Sergej Lawrow hatte zuvor gesagt, seine Luftwaffe werde auch nach Inkrafttreten der Waffenruhe die Angriffe auf Al-Nusra und den Islamischen Staat fortsetzen. Der Westen wirft Moskau jedoch vor, auch »gemäßigte« Gegner der Assad-Regierung zu töten. Die USA bomben auch in Syrien, nach ihren Aussagen um den Islamischen Staat zu schwächen, der auch in Irak große Gebiete hält. Die tatsächlichen Folgen der Bombardements sind von Dritten schwer verifizierbar.
Der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr Harald Kujat hat die Rolle Russlands im Syrien-Konflikt ausdrücklich gelobt. »Die Russen haben mit ihrem militärischen Eingreifen den Friedensprozess erst ermöglicht«, sagte er der »Passauer Neuen Presse« vom Freitag. Bis September habe dort Stillstand geherrscht. »Weder die Amerikaner noch die Europäer hatten eine Strategie für ein friedliches Syrien und waren auch nicht bereit, sich massiv zu engagieren. Die Russen haben es gemacht und damit ein Fenster für eine politische Lösung aufgestoßen«, sagte Kujat. Dagegen stößt die Vereinbarung bei den syrischen Regierungsgegnern im Exil auf großes Missfallen. Ein Sprecher des in Saudi-Arabien ansässigen Hohen Verhandlungskomitees sagte, man wolle die Rebellen vor Ort entscheiden lassen, ob sie die Waffenruhe wollten.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.