Muhms Notfallidee
Österreich: Debatte über Arbeitnehmerfreizügigkeit
Nicht weniger als die Drosselung der Arbeitnehmerfreizügigkeit forderte der Präsident der Wiener Arbeiterkammer Werner Muhm dieser Tage. Sie sei als Reaktion auf hohe Arbeitslosigkeit, ungebremsten Zuzug von Arbeitskräften aus Osteuropa und die Flüchtlingskrise notwendig. Muhm gilt als erster Stichwortgeber in Sachen Sozialpolitik für Bundeskanzler Werner Faymann, der sich zeitgleich ähnlich, wenn auch nicht so klar äußerte. Die Umstände sind bemerkenswert. Österreich kämpft mit der höchsten Arbeitslosenrate seit 50 Jahren, die statistisch nur mit allerlei Tricks unter der 500 000er-Marke gehalten werden kann. Dazu kommt das Problem der Zuwanderung von osteuropäischen Arbeitern, die sich seit dem EU-Beitritt Rumäniens und Bulgariens 2008 fast verdreifacht hat. Nicht mitgerechnet sind die Tagespendler im kleinen Grenzverkehr mit Ungarn, der Slowakei und Tschechien sowie Tausende hauptsächlich slowakische Altenpflegerinnen, die seit einer Gesetzesänderung unter der rechts-liberalen Regierung Schüssel im Jahr 2000 als »Selbstständige« definiert werden. Und nun die Flüchtlinge, von denen laut Arbeitsmarktservice bereits 20 000 für die Jobsuche angemeldet sind.
Vor diesem Hintergrund verlangt Muhm eine Notfallverordnung, um die sogenannte Arbeitnehmerfreizügigkeit zeitlich begrenzt außer Kraft zu setzen. Die SPÖ sprang ihm zur Seite und will Maßnahmen zur Reduzierung von Lohn- und Sozialdumping. »Ein Ansatzpunkt ist eine Reform der EU-Entsenderichtlinie, wie sie auch Bundeskanzler Faymann fordert«, sagt Bundesgeschäftsführer Gerhard Schmid. So können etwa ungarische Arbeiter über eine ungarische Firma ins Burgenland geschickt und dort nach ungarischem Tarif entlohnt sowie nach ungarischen Sozialleistungen versichert werden. Damit sind sie für das in Ungarn gemeldete Unternehmen, das oft ein Subauftragnehmer ist, weit billiger als heimische Beschäftigte. 120 000 solcher entsandten Arbeiter sind in Österreich tätig. Betroffen vom Verdrängungswettbewerb sind vor allem türkische Erwerbstätige, schon heute mit 20 Prozent in der Arbeitslosenstatistik vertreten.
Eine ähnliche Debatte führten Gewerkschaft und Arbeiterkammer bereits 2003, unmittelbar vor dem Beitritt osteuropäischer Länder zur EU. Damals lautete die Forderung, nur jene Länder aufzunehmen, deren durchschnittliches Lohnniveau mindestens 60 Prozent des österreichischen beträgt. Medien und Unternehmervertreter sprachen von Diskriminierung. Tatsächlich aber wären höhere Löhne den Beschäftigten in Osteuropa zugutegekommen. Dass Unternehmen daran kein Interesse haben, zeigt sich jetzt auch an der Reaktion von ÖVP und Wirtschaftskammer. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit sei eine der Säulen der EU, hieß es von bürgerlich-liberaler Seite, daran dürfe nicht gerüttelt werden. »Retrokonzepte« wie Muhms Forderung verhinderten Innovation und »vernichten Arbeitsplätze«, so Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP). Mainstreammedien warfen der SPÖ vor, so der rechten FPÖ nach dem Mund zu reden und populistisch zu sein. Kanzler Faymann duckte sich daraufhin weg und ÖGB-Chef Erich Foglar beeilte sich, Muhms Meinung als »persönliches Statement« zu klassifizieren. Nur Burgenlands Landeshauptmann Hans Niessl sprang dem SPÖ-Chefideologen zur Seite.
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