Wein, Weib und Politik

Die Jugendzentrumsbewegung brachte das linksalternative Milieu in die westdeutsche »Provinz«

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 3 Min.
Flipper, Sofa und Fernsehapparat gehörten zur Grundausstattung vieler Jugendzentren. Sie entstanden Anfang der 70er Jahre und waren ein Ort, in dem Tausende junger Menschen politisiert wurden.

Vor einer Woche durchsuchten mehrere Hundertschaften der Polizei das Unabhängige Jugendzentrum (UJZ) Kornstraße in Hannover. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Unterstützung der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. In einer Pressemitteilung kritisieren die Betroffenen den Einsatz als »besonders unverhältnismäßig«, nicht zuletzt, weil ihr Haus neben einem Jugendzentrum auch einen Kinder- und Babyladen beherberge. »Es wurde das Bild eines ›Terrorladens‹ gezeichnet.«

Da werden Erinnerungen an Zeiten wach, als linke Jugendzentren in der Bundesrepublik regelmäßig Ziel von Medienhetze und Razzien waren. Auch die Geschichte des UJZ in Hannover ist davon geprägt. Bereits 1975 hatten die CDU und Teile der SPD die Schließung wegen Linkslastigkeit gefordert. 1978 sah das niedersächsische Innenministerium in der Kornstraße eine Zentrale radikaler Anti-AKW-Gegner und strich die Förderung. Doch das UJZ Korn gehört zu den wenigen Jugendzentren, die bis heute für linke Politik stehen.

Vor allem in der westdeutschen Provinz waren Anfang der 70er Jahre immer mehr Jugendzentrumsinitiativen entstanden. Tausende Jugendliche gingen auf die Straßen, sammelten Unterschriften und stritten sich mit Kommunalpolitikern. »Was wir wollen: Freizeit ohne Kontrolle«, lautete die Forderung der Jugendlichen vom norddeutschen Pinneberg bis nach Konstanz und Backnang. Und mit dieser Parole betitelte auch David Templin, Jahrgang 1983, seine umfassende Geschichte der westdeutschen Jugendzentrumsbewegung, die kürzlich veröffentlicht wurde. Der Mitarbeiter der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg hat damit wissenschaftliche Pionierarbeit geleistet.

Obwohl es viele Selbstdarstellungen von Jugendzentren gibt und auch in der Sozialpädagogik heftige Diskussionen über Selbstverwaltung und Mitbestimmung in den Einrichtungen geführt wurden, gab es bisher keine Geschichte dieser Bewegung. Dabei hat sie die Impulse des gesellschaftlichen Aufbruchs der 68er aus den universitären Großstädten in die Provinz getragen. Die Träger waren meist Gymnasiasten. Templin nimmt ihre Kritik an der von Erwachsenen getragenen »Jugendpflege« und ihre Vorstellungen »selbstorganisierter Räume«, ihre soziale und politische Zusammensetzung sowie die regionalen und überregionalen Netzwerke in den Blick. Zugleich beleuchtet er die Reaktionen lokaler Politiker und Stadtverwaltungen und die damit verbundenen öffentlichen Auseinandersetzungen. Detailliert werden die vielen Konflikte beschrieben, die vor allem in einem kleinstädtischen Milieu ausgetragen werden mussten, um neue gesellschaftliche und kulturelle Ideen durchzusetzen. Dabei ging es nicht nur um politische Fragen. »Was Wein, Weib und Gesang anbetrifft: Singen ist erwünscht; nicht drin sind der Genuss alkoholischer Getränke und der Austausch von Zärtlichkeiten«, zitierte Templin die Auflagen der Stadtverwaltung von Wittingen an das Jugendzentrum.

Ein Flipper, ein Billardtisch, ein Fernsehgerät, ein Gartengrill und ein VW-Bus gehörten zur Erstausstattung so manchen Jugendzentrums. Andere stellten Räume für Filmvorführungen, Lesekurse und politische Veranstaltungen zur Verfügung. Alte Sofas und Matratzen sorgten für Gemütlichkeit an einem Ort, an dem Jugendliche zuweilen mehr Zeit verbrachten als in den heimischen vier Wänden. Allerdings setzten Platz- und Geldmangel den unterschiedlichen Freizeitbedürfnissen der jugendlichen Besucher Grenzen.

Ausführlich geht das Buch auf die internen Probleme der Jugendzentren ein. Viele Initiatoren waren bald ernüchtert und überfordert, wenn sie von Jugendlichen überlaufen wurden, die in den Einrichtungen lediglich konsumieren wollten und mit den gesellschaftlichen Utopien der Gründer wenig anfangen konnten. Auch die linke Fraktionierung in den 70er Jahren erfasste die JZ-Bewegung. Maoistische Gruppen, Jusos und DKP-nahe Jugendorganisationen stritten um die politische Hegemonie. Allerdings gelang es ihnen selten, Arbeiterjugendliche für das Engagement in den Jugendzentren zu gewinnen.

Obwohl Medien, aber auch manche frühere Aktivisten das Scheitern dieser Jugendbewegung postulierten, ist Templins Fazit weniger pessimistisch. Tausende junge Menschen seien hier politisiert und die konservative Hegemonie auch in der Provinz aufgebrochen worden. Und wie das UJZ Kornstraße zeigt, wurde der kritische Stachel nicht überall gezogen.

David Templin: Freizeit ohne Kontrollen. Die Jugendzentrumsbewegung in der Bundesrepublik der 1970er Jahre, Wallstein-Verlag, 672 Seiten, 46 Euro.

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