Der wundersame Herr von Boilstädt
2013 bei Gotha gefundene Gräber könnten etwas Licht in die Zeit um das Thüringer Schicksalsjahr 531 bringen
Das Jahr 531 kann getrost als Schicksalsjahr der Thüringer gelten. Ein Heer unter König Hermenafried unterlag bei der Schlacht an der Unstrut den Franken. Nur wenig ist bis heute über die Besiegten bekannt. Sie verloren nicht nur ihr Land, auch ihr sagenhafter Schatz ist noch immer verschollen. Der König selbst wurde wenig später heimtückisch ermordet, seine Tochter in Frankreich mit dem Sohn des Siegers verheiratet. Thüringen selbst ist erst seit dem Jahr 1920 wieder auf den Landkarten zu finden. Ein vor wenigen Tagen präsentierter Zufallsfund könnte jetzt etwas Licht in das Dunkel der Geschichte bringen.
Im Jahre 2013 wurde bei Bauarbeiten nahe der kleinen Gemeinde Boilstädt im Süden von Gotha ein Gräberfeld entdeckt. Erste Untersuchungen ließen die Archäologen hoffen, etwas Besonderes im fruchtbaren Boden gefunden zu haben. Vor allem zwei Gräber in Holzkammern elektrisierten die Spezialisten. Sie entschieden, die wertvollsten Stücke nicht vor Ort auszugraben, sondern im Block nach Weimar-Ehringsdorf in die Außenstelle des Thüringer Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie zu bringen.
Kein leichtes Unterfangen: »Befund 96«, das am reichsten ausgestattete Grab, brachte es beim Transport inklusive eines Sarkophags zu seinem Schutz auf stolze 17 Tonnen Gewicht. Seit Oktober 2014 arbeitete ein Team um Grabungsleiter Christian Tannhäuser in Ehringsdorf an Sichtung und Restaurierung dieses Schatzes. Nun präsentierte er gemeinsam mit Babette Winter, der Thüringer Staatssekretärin für Kultur und Europa, und dem Landesarchäologen Sven Ostritz die ersten Ergebnisse der wissenschaftlichen Arbeit.
Die können sich sehen lassen: Fast ein und ein halbes Jahrtausend lagen die Kostbarkeiten von Grabräubern unentdeckt im Thüringer Boden. Schon das ist durchaus eine Sensation. Noch aufregender sind für die Experten die Grabbeigaben. Sie weisen den Toten als herausragende Persönlichkeit aus, der Elite seiner Zeit zugehörig. Die Grabkammer war von einem Hügel bedeckt. In unmittelbarer Nähe fanden sich zudem die Überreste von einem Pferd und einem Hund, die ihren Herren wohl in den Tod folgen mussten.
Der »Herr von Boilstädt« wurde im vollen militärischen Ornat beigesetzt. Im Grab lagen sein Speer, sein Hiebschwert und ein Langschwert, dazu ein Schildbuckel und eine Speerspitze. Zum Reitzubehör zählen eine Trense und Nieten des Zaumzeugs. Auch persönliche Gegenstände wie ein Kamm, Glasspielzeug, eine Glasperlenkette und ein massiver Ring aus Buntmetall lagen neben dem Toten. Der war allem Anschein nach auf dem Höhepunkt seiner Kraft, wohl um die 30 Jahre alt. Auch fanden sich Tierknochen und Eierschalen sowie die Reste eines Fisches.
Vielleicht, so die Vermutung der Forscher, war dieser Fisch mehr als nur eine Wegzehrung für die Reise in das Totenreich. Vielleicht verbirgt sich dahinter ja ein christliches Symbol? Ein anderer Fund spricht dafür: Ein Bronzelämpchen byzantinischer Herkunft. Es hat eindeutig ein Kreuz als Griff. Solch ein Lämpchen wurde bisher nur einmal in Oberitalien gefunden. Hatte das kleine Licht, wie die Märtyrerlämpchen im alten Rom, ein christliches Grab erhellt?
Gut möglich, meint der Landesarchäologe. Die Königreiche der Thüringer und Franken zählten zumindest offiziell zu den christlichen Herrschaften. Doch das Grab selbst, gesteht Sven Ostritz ein, enthält auch ein Gegenargument. Es ist eine Goldmünze, geprägt bei den Westgoten in Spanien. Als sogenannte Charonspfennig stellt er den Lohn für den Fährmann dar, der die Toten über den Styx in den Hades bringt. Also doch nichts mit christlichem Grab?
Man weiß es nicht, sagt der Ausgrabungsleiter ein. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Öllämpchen und Münze auf eine synkretische Auslegung der Religionen und Anschauungen der Zeit hindeuten. Mit anderen Worten, der tapfere Krieger ging auf Nummer sicher, ohne es sich mit einem Gott zu verderben.
So mysteriös der gemeinsame Fund von Lämpchen und Goldstück auch ist, er hilft, den Zeitpunkt des Begräbnisses zu bestimmen. Vor dem Jahr 600 wurden Münzen dieser Art von den Westgoten in Spanien geschlagen. Sie sind natürlich äußerst selten. Weder eine derartige Münze noch ein solches Öllämpchen wurden bisher außer bei Boilstädt in Deutschland entdeckt. Zusammen schon gar nicht.
Für die Archäologen gibt es jetzt viel zu tun. Das Skelett des »Herrn von Boilstädt« soll präpariert und in einem Computer-Tomographen untersucht werden. Zudem wollen die Forscher das Erbgut aller Leichen im Gräberfeld von Boilstädt untersuchen. Sind sie verwandt? Wenn alle offenen Fragen geklärt sind, steht einer Ausstellung der Funde wohl nicht mehr im Weg. epd/nd
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