Rundumschlag der türkischen Führung
Erdogan verlangt von den USA, die syrischen Kurdenorganisationen als Terroristen einzustufen - bisher vergeblich
Wenn die syrischen Kurden der Türkei ein politisches Argument gegen sich auf dem silbernen Tablette liefern wollten, so wäre der Anschlag am Mittwochabend auf einen Militärkonvoi in Ankara eine gute Idee gewesen. Nach Aussagen des türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu wurde der Anschlag auf Servicebusse des Militärs von einem Syrer Namens Salih Necar (türkische Schreibweise) ausgeführt. Der Mann soll vorher als Flüchtling in die Türkei gekommen sein. Davutoglu machte die syrisch-kurdische Miliz Volksverteidigungseinheiten (YPG) für den Anschlag verantwortlich.
Allerdings hat sich niemand zu dem Anschlag bekannt. Die Führung der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) sprach in einer Erklärung lediglich von der Möglichkeit, dass es sich um einen Racheakt von Kurden angesichts der »unmenschlichen Massaker an unserem Volk« gehandelt haben könne. Gemeint ist die noch immer anhaltende Kampagne des türkischen Militärs gegen militante Jugendliche, die in hauptsächlich von Kurden bewohnten Städten im Südosten des Landes Barrikaden errichtet haben. Das türkische Militär geht mit einem hohen Maß an Gewalt in diesen Städten vor. Zugleich betont die PKK-Führung, dass sie nicht wisse, wer den Anschlag begangen habe. Selbst wenn ein Mann aus Syrien für den Anschlag in Ankara verantwortlich sein sollte, muss das nicht heißen, dass die YPG verantwortlich ist. Es wäre der erste Anschlag der YPG in der Türkei gewesen. Die YPG ist ganz auf Syrien konzentriert.
Dagegen werden dem Islamischen Staat (IS) in weniger als einem Jahr vier Selbstmordanschläge in der Türkei zugeschrieben. Der letzte davon geschah im Oktober und richtete sich gegen eine Friedensdemonstration in Ankara, wobei 102 Menschen ermordet wurden. Im Januar starben beim Attentat auf eine deutsche Touristengruppe in Istanbul elf Personen. Die Istanbuler Zeitung »Cumhuriyet« zeigt auf ihrer Webseite Ausschnitte aus einer türkischsprachigen Zeitschrift des IS, in der gegen das türkische Militär polemisiert wird.
Andererseits hat die Türkei am Samstag damit begonnen, Stellungen der YPG in Syrien mit schweren Haubitzen zu beschießen. Nach Angaben der Agentur Reuters wurden Hunderte Kämpfer der syrischen Regierungsgegner über türkisches Gebiet zu der syrischen Stadt Azaz durchgeschleust. Azaz befindet sich an einer Frontlinie zwischen der YPG und oppositionellen syrischen Gruppen. Die Türkei unterstützt in Syrien vor allem die fundamentalistische Islamische Front.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan fordert von den USA, die kurdische Partei der Demokratischen Union (PYD) und die YPG als Terrororganisationen zu behandeln. Dies wurde vom US-Außenministerium zurückgewiesen. Die USA wollen die YPG weiter als Streitmacht gegen den IS nutzen, haben ihr sogar Waffen geliefert und einen Flugplatz gebaut. Die Bedeutung der PYD/YPG für die USA in Syrien liegt aber nicht nur in der Bekämpfung des IS.
Da der Rest der syrischen Opposition, zumindest die bewaffneten Gruppen, immer mehr von sunnitisch-islamistischen Gruppen dominiert wird, die den USA gegenüber feindselig eingestellt sind, bleiben deren Beziehungen zu PYD und YPG die einzige Verbindung, die die US-Politik derzeit innerhalb Syriens hat.
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