Dem Bruder gewidmet - Lorenz liest Lorenc
Hörbuch mit herausragender Lyrik im sorbischen Domowina-Verlag erschienen
Das Gedicht »Ende der Vorstellung« (1971) widmete Kito Lorenc seinem »Bruder, dem Schauspieler«. Der Bruder, der Schauspieler - Michael Lorenz heißt er - kam 1939 in Schleife in der Lausitz zur Welt, ins Sachsen, an der Grenze zu Brandenburg, anderthalb Jahre später als Kito, der Schriftsteller.
76 deutsche und 54 sorbische Gedichte seines Bruders, darunter »Ende der Vorstellung«, hat Michael Lorenz jetzt für ein Hörbuch eingesprochen, das im Domowina-Verlag erschienen ist. Drei CDs mit einer Gesamtspieldauer von 208 Minuten.
Schon 50 Jahre lang rezitiert der Schauspieler Lorenz die Lyrik seines Bruders Lorenc, so die sorbische Schreibweise des Familiennamens. Mit seinem sorbischen Namen hat sich Kito Lorenc einen Namen gemacht in der Literatur. Keiner unter den sorbischen Autoren ist bekannter als er mit seinen Gedichten, von Jurij Brězan (1916-2006) mit seinen Romanen und Märchenstoffen einmal abgesehen. Beide, Lorenc und Brězan, haben das Kunststück vollbracht, eine so kleine Nationalliteratur wie die sorbische mit so herausragenden Werken zu beschenken. Brězan gelang dies, weil er zugleich ein Freund und ein Meister der deutschen Literatur gewesen ist. So ungefähr hat er es selbst zu Lebzeiten beschrieben.
Auch Lorenc ist ein Meister der deutschen genauso wie der sorbischen Literatur. Eines Beweises bedarf es nicht mehr. Aber das Hörbuch legt Zeugnis ab von der Wortgewalt und dem Sprachwitz des Lyrikers.
Michael Lorenz präsentiert Gedichte aus den Jahren 1960 bis 2015, und obwohl in einige mit Titeln wie »Schwarze Pumpe« (1989) und »Hausgemeinschaft« (1961) Spuren des Zeitgeistes enthalten, fällt es nicht leicht, ihre Entstehungszeit allein danach zu schätzen. Man muss schon im Begleitheft nachschlagen, um zu erfahren, wann genau diese Gedichte entstanden sind. Das zeigt, wie bleibend gedankentief, wie zeitlos schön diese Lyrik ist. Bekannte Gedichte wie »Die Rasselbande im Schlamassellande« (1981) hat Michael Lorenz ausgesucht, aber auch weniger bekannte. Seine persönlichen Favoriten und Erstveröffentlichungen sind in die Auswahl aufgenommen.
»Natürlich muss man die Gedichte von Kito Lorenc vor allem lesen, längst nicht alle darf, sollte man auch sprechen«, äußert der vom Werk seines Dichterbruders begeisterte Michael Lorenz, der Schauspieler und Regisseur am Deutsch-Sorbischen Volkstheaters in Bautzen ist. »Deshalb kann diese Auswahl trotz ihres großen Umfangs nur einen eingeschränkten Blick in das Gesamtwerk meines Bruders bieten«, gesteht er.
Kito Lorenc findet in seiner Lyrik die besonderen Momente in alltäglichen Dingen, knüpft einfache Worte zu poetisch und philosophisch hochkomplexen Gebilden, die sich dem aufmerksamen Leser dann aber wieder plötzlich ganz federleicht entschlüsseln. Diese Lyrik bereitet, ob altersweise-schwermütig oder jugendlich-verschmitzt, ungemeines Vergnügen. Sie verlangt aber Konzentration, lässt sich nicht nebenbei konsumieren. Schwer vorstellbar, dass die CDs beim Kochen oder Autofahren abgespielt werden, da jede andere Tätigkeit als die des Zuhörens viel zu sehr ablenken würde.
Michael Lorenz liest die Gedichte vorzüglich, indem er seine schauspielerischen Fähigkeiten zügelt. Er liest mit angenehmer Stimme in einem Ton hintereinander weg, variiert nicht viel, versucht es nicht mit Flüstern und Schreien, mit Wehklagen oder Frohlocken, tritt bescheiden hinter die großartigen Texte zurück und bringt sie so zur richtigen Geltung. Das verrät den Kenner und den Könner. Vielleicht kann der Schauspieler das deshalb so perfekt, weil der Schriftsteller sein Bruder ist.
Kito Lorenc: »Versuch über uns« (Pospyt wo nas), Hörbuch, Domowina, 20 Euro
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