Wenn Israelis Syrern helfen
Eine Videoarbeit von Michal Helfman dokumentiert Gewalt und Hoffnung zugleich
In den Kunstwerken Berlin wird gebaut, Kunst gibt es dennoch zu sehen. Starke Kunst. In einem kleinen Studio, vom Hof aus zu erreichen, hat die israelische Künstlerin Michal Helfman ihre Videoinstallation »Running Out of History« aufgebaut. In dem dunklen Raum ist ein anderer dunkler Raum zu sehen; eine Garage, eine Halle, ein Tunnel vielleicht. Ein Pick-up fährt herein. Eine Person lädt Kisten aus und rammt dann die Kisten.
Später, die Holzkisten sind wieder fein hergerichtet und bilden den nach oben strebenden Baukörper einer Kathedrale, kommt eine zweite Person hinzu. In den Kisten sind, so erfährt man, Hilfsgüter für Syrien. Lebensmittel möglicherweise, Verbandsmaterial, vor allem aber 3 D-Drucker, um Prothesen herstellen zu können. Krieg vernichtet nicht nur Leben, sondern auch einzelne Gliedmaßen. Technologie mag helfen. 3 D-Drucker, aus denen man Prothesen machen kann, gegen Flugzeuge und Maschinengewehre. Das schafft Hoffnung. - Allerdings kann man mit 3 D-Drucker auch Waffen produzieren ...
In dem Video setzen beide Personen sich hin und lesen den Dialog vor, den die Frau zuvor mit einem anderen Mann geführt hatte. Sie, die Frau, Gal Lusky mit Namen, offenbart sich in diesem Gespräch mit ihrem syrischen Partner, der Hilfsgüter entgegennimmt, als Israeli. Der Mann ist schockiert. »Jetzt bin ich allein«, sagt er. Der Schock verwandelt sich in Feindseligkeit. »Du bist kein Freund, sondern ein Feind«, stellt er fest. Misstrauisch geworden unterstellt er, dass in den Kisten Dinge stecken, die der israelische Geheimdienst Mossad den Syrern unterschieben will.
Immer wieder wird der Dialog von einer Tänzerin unterbrochen, die in einem weißen Kostüm Bewegungen von Annäherung und Ablehnung, Hinwendung und Aggression vollführt. Die Konfrontation kulminiert. »Wenn wir mit Bashar fertig sind, dann schnappen wir uns Euch«, liest der Mann, in Wirklichkeit ein Mitarbeiter mit syrischen Wurzeln von Luskys Hilfsorganisation Israeli Flying Aid und jetzt in die Rolle des syrischen Partners geschlüpft, vor. Und Lusky selbst rekonstruiert ihre Replik: »Das letzte Mal, als Syrien uns in den Krieg zwang, haben wir uns nur die Golanhöhen genommen. Das nächste Mal gehen wir nach Damaskus.«
Selbst die gemeinsame Erfahrung der Hilfe, des Schmuggelns von Gütern nach Syrien, kann die Feindschaft der Nationen Israels und Syriens nicht auflockern, nicht mildern. Sie bricht unvermittelt durch.
Im Nachhinein wird klar, warum Lusky, die Hilfsprojekte bereits in Tschetschenien und Myanmar, Indonesien, Sri Lanka und Eritrea durchführte, diesmal mit der Legende einer amerikanischen Millionärin operierte. Hilfe muss getarnt werden, damit sie akzeptiert werden kann.
Helfman legt mit dieser Videoarbeit offen, wie viel Feindseligkeit in Menschen durch Krieg angelegt ist. Schuld erzeugt Gegenschuld, Hass neuen Hass, Tod weiteren Tod. Sie bettet die Sequenz noch in einen größeren Zusammenhang ein. Mit 3 D-Druckern, ähnlich denen, die nach Syrien gelangten, stellt sie Würfel her, auf deren Seiten die Worte und Silben »We will not for/give« und »We will not for/get« stehen. Das nicht vergessen und und nicht vergeben können ist laut Helman eine Gründungssubstanz des israelischen Staates, ehernes Vermächtnis der Holocaust-Überlebenden, oder zumindest politisch nutzbar gemachtes ausgehärtetes Vermächtnis. Krieg erzeugt Krieg, lautet diese Logik, die Helfman in Frage stellt. Sie versucht, die Logik dieser Sätze aufzubrechen. Immer wieder werfen Lusky und ihr Partner die Würfel. »We We« steht dann da, was Hoffnung macht. Oder »We Get« und »Will For«. Wer bekommt hier, wer will hier? Das Spiel der Würfel kreiert Ansätze für Alternativen, für ein Sprechen, ein Denken, für ein anderes Handeln.
Bis 13.3., KW Institut for Contemporary Art, Auguststraße 69, Mitte, täglich außer Di. 12-19 Uhr, Do. bis 21 Uhr.
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