Camerons gefährlichster Gegner kommt aus dem eigenen Stall
Londons Bürgermeister Boris Johnson schließt sich der Kampagne für einen Austritt Großbritanniens aus der EU an
In London nennen sie ihren Bürgermeister einfach nur Boris. Er ist chronisch verstrubbelt, nie um einen Spruch verlegen und betritt den Regierungssitz in der Downing Street schon mal mit Fahrradhelm auf dem Kopf. Dass Boris sich - nach scheinbarem Zögern - auf die Seite der EU-Gegner schlägt, nennt das Boulevardblatt »Sun« treffend eine »blonde Bombe«. Boris Johnson ist von einem Tag auf den anderen so etwas wie das Gesicht der »Brexit«-Kampagne, die vor dem Juni-Referendum für den Abschied aus der Union wirbt.
EU-Feinde jubeln: Kaum einer kann dem »Projekt Drinbleiben« von Premier David Cameron so gefährlich werden wie der 51-Jährige. Rechtspopulist Nigel Farage schreckt die politische Mitte eher ab, Justizminister Michael Gove gehört zu den unbeliebtesten Politikern. Johnson ist im politisch zu Labour neigenden London als Konservativer zweimal zum Bürgermeister gewählt worden.
»Dies ist die einzige Gelegenheit, die wir je haben werden, um zu zeigen, dass uns Selbstbestimmung wichtig ist«, so Johnson am Montag im »Telegraph«, einer extrem EU-kritischen Zeitung. »Ein Bleibe-Votum wird in Brüssel als Signal für mehr Föderalismus und die Erosion der Demokratie aufgefasst werden.«
Das ist nichts anderes als ein Schlag ins Gesicht seines Parteichefs Cameron, dessen politische Zukunft an einem Ja zur EU am 23. Juni hängt. Nur neun Minuten vor dem Statement soll Johnson dem Premier per SMS Bescheid gegeben haben. Da hilft es nichts, dass der strohblonde Politiker am Sonntag vor zig Kameras stammelt, gegen Cameron die Regierung zu steuern sei »das Letzte, was ich wollte«, oder dass er Fernsehdebatten meiden will. »Nun ist die Bestie des heißblütigen Euroskeptizismus entfesselt«, kommentiert ein »Guardian«-Kolumnist.
Was macht Johnson so beliebt oder - aus Camerons Sicht - gefährlich? Er gehört zum Establishment wie der Premier, sie waren zusammen auf dem Eliteinternat Eton. Aber Johnson kommt nicht so rüber. Er lässt Radwege bauen und sich auf dem Fahrrad filmen, nimmt kein Blatt vor den Mund und wirkt wie gerade erst aufgestanden, manchmal trottelig - die Briten haben für Antihelden etwas übrig. Wenn Boris Union-Jack-schwingend hilflos in einer Seilbahn hängen bleibt, ist ihm das nicht peinlich. Er schlägt daraus Profit.
Politologe Matthew Goodwin von der Universität Kent hält Johnsons Einfluss für überschätzt. »Aber die Politiker, die drinbleiben wollen, sind eindeutig in der Überzahl.« dpa
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