Tillich beendet Sendepause
Bautzen und Clausnitz werden zur Belastungsprobe für Sachsens CDU-SPD-Koalition
Man kann nicht sagen, dass Sachsens Regierung nach den Ausbrüchen von Fremdenhass nicht reagiert hätte. In Clausnitz war am Donnerstag ein Bus mit Flüchtlingen von einem hasserfüllten Mob blockiert, in Bautzen am Samstag ein zur Unterbringung von Flüchtlingen vorgesehenes Hotel angezündet worden. Am Montag begaben sich zwei Minister in die Orte. Auffällig aber: Es handelte sich um Politiker der kleinen Regierungspartei SPD: die für Integration zuständige Petra Köpping sowie Martin Dulig, der Ressortchef für Wirtschaft ist. CDU-Minister oder Ministerpräsident Stanislaw Tillich ließen sich nicht blicken. Die CDU duckte geschlossen ab.
Die erneute Eskalation der Fremdenfeindlichkeit in Sachsen lässt auch immer mehr zu Tage treten, dass ein Riss durch die Regierung geht. In der SPD wächst der Unmut über die zögerliche und widersprüchliche Haltung der CDU. Der Einsatz gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit gehöre »endlich auch ganz oben auf die Agenda der sächsischen CDU«, sagt Generalsekretärin Daniela Kolbe und wirft der Union vor, bisher »sprachlos« gewirkt zu haben. Diese müsse, ergänzt Juso-Landeschefin Katharina Schenk, »endlich mehr tun als die Ereignisse zu verurteilen und dann zur Tagesordnung überzugehen«.
Bestes Beispiel für diesen halbherzigen Kurs ist der Regierungschef. Im September - Tillich hatte nach Randalen vor einer geplanten Flüchtlingsunterkunft die Stadt Heidenau besucht und war dabei ebenso wie die Kanzlerin von Fremdenfeinden hart angegangen worden - fand er klare Worte. Im Landtag erklärte er, eine »enthemmte Minderheit besudelt und beschämt unser ganzes Land«. Gefordert sei nun ein »Aufstand aller«.
Statt sich aber an dessen Spitze zu stellen, schwieg Tillich seitdem. Beim Protest gegen Pegida und Legida war er - im Gegensatz zu SPD-Kollegen und dem CDU-Justizminister - nicht zu sehen. Er sei nicht bedeutender als andere Kabinettsmitglieder, gab er zu verstehen; es komme »nicht darauf an, dass der Ministerpräsident an verschiedenen Orten im Freistaat vor Ort ist«. Wichtig sei, dass sich die Bürger engagierten. Dass der Freistaat das Ehrenamt mit Millionensummen fördert, wertete Tillich gestern als einen Beleg dafür, dass er der »Verantwortung als Landesvater« gerecht werde.
Dass der Regierungschef nun aber auch Demokratie-Initiativen als Helfer gegen Fremdenhass entdeckt, empfinden manche der dort Engagierten als Hohn. »Wer der Zivilgesellschaft misstraut, sollte sie jetzt nicht in die Pflicht nehmen«, schrieb der Pirnaer Verein Akubiz. Er kämpfte jahrelang gegen eine »Extremismusklausel«, von deren Unterzeichnung die CDU-geführte Regierung die Vergabe von Fördermitteln abhängig machte. Auch SPD-Mann Dulig klagt, die CDU habe über Jahre »gern eingeteilt, was gutes Engagement und was schlechtes ist«. In 25 Jahren habe man auch auf diese Weise »vielleicht zu wenig getan, dass sich die Demokratie im Freistaat festigt«.
Mehr als das: Fremdenfeinde können sich im Freistaat direkt auf Äußerungen von CDU-Spitzen berufen. Vor einem Jahr sagte Tillich, der Islam gehöre nicht zu Sachsen. Vor einigen Tagen erst forderte Frank Kupfer, als Fraktionschef einer der mächtigsten CDU-Politiker im Land, in einem Interview ein »Zeichen« an die Bevölkerung »in der Flüchtlingskrise, dass jetzt Schluss ist«.
Erst jetzt, da der in Sachsen alltägliche Rassismus so eskaliert, dass der Freistaat wieder bundesweit in den Schlagzeilen ist, sieht sich Tillich erneut zur Wortmeldung genötigt - freilich nicht in Clausnitz oder Bautzen. Vielmehr fällte er zunächst in einem Interview das fragwürdige Verdikt, die Täter seien »keine Menschen«, sondern »Verbrecher«. Gestern fügte er vor der Landespresse an, man müsse den »schändlichen und verbrecherischen Umtrieben Einhalt gebieten« - die es aber ja »nicht nur in Sachsen« gebe. Zudem sprach er von »einigen wenigen«, die sich »außerhalb der Rechtsordnung« stellten. Gegenmaßnahmen solle das Kabinett nächste Woche in einer Sondersitzung beraten. Die Rede ist neben mehr Bildungsarbeit von zusätzlichen Stellen bei Polizei und Justiz. »Wir brauchen wieder einen starken Staat«, sagte Tillich. Was Schlüsse auf den derzeitigen Zustand zulässt.
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