Nazis sind Nazis – egal wie sie sich selbst bezeichnen
Der 62-jährige Raimund Hethey ist Buchautor und Lehrer in Bremen. Seit vier Jahrzehnten kämpft er darum, Faschisten als Faschisten und Nazis als Nazis bezeichnen zu dürfen. Und genauso lange wehren sich die so titulierten dagegen. Niemand möchte Nazi oder Faschist genannt werden. »Aber wenn es einer doch ist, soll man das auch sagen«, findet Hethey.
Vor ein paar Jahren half er der Freiberger Stadtzeitung »Freibärger« ein Urteil zu erstreiten, dass Alexander Kleber, Mitglied der rechtsradikalen »Junge Landsmannschaft Ostpreußen«, als Nazi bezeichnet werden kann. Kleber war Anmelder des berüchtigten Dresdner Nazi-Marsches zum »Gedenken an den Bomben-Holocaust« von 1945. »Der war damals Jurastudent und hatte plötzlich Angst, Jahre nach Erscheinen des Artikels, das ihm die Bezeichnung Nazi bei seiner Karriere im Weg stehen könnte«, erklärt Hethey. Kleber verlor den Prozess. Im »Spiegel« war von ihm ein Foto zu finden, das ihn mit schwarz-weiß-roter Fahne zeigte. »Die Richter identifizierten die Fahne als eindeutiges Nazis-Symbol.«
Das Beispiel ist kein Einzelfall. Die Strategie von Rechtsradikalen nicht als solche, oder gar als Nazi bezeichnet werden zu wollen, ist immer öfter auch im Kontext der Flüchtlingsdebatte zu hören: »Ich bin kein Rassist, aber…«. Umso wichtiger, hier einen klaren Blick zu behalten.
Von rechter Seite wird seit Langem gezielt versucht, die politische Einordnung in rechts oder links aufzuweichen. So heißt es bei der AfD: »Wo steht denn die Alternative für Deutschland im politischen Koordinatensystem Deutschlands? Rechts? Links? In der Mitte? Die Antwort ist: In diesen Kategorien denken wir nicht. Rechts und links ist für uns Gesäßtaschengeografie – mehr nicht.« Auch Thilo Sarrazin stellt fest: »Die meisten Themen lassen sich nicht mehr im herkömmlichen Links-Rechts-Schema einordnen.« Oder Heinz-Christian Strache von der FPÖ: »Ich bin weder links noch rechts.«
Selbst der Journalist Joachim Fest fragte einmal: »War Adolf Hitler ein Linker?« In einem Zeitungsartikel schrieb er 2003: »Manche guten Gründe sprechen dafür, dass der Nationalsozialismus politisch eher auf die linke als auf die rechte Seite gehört.« Selbst Joseph Goebbels, NS-Propagandaminister, behauptete 1931: »Die NSDAP verkörpert die deutsche Linke«. Und 2012 postete Erika Steinbach, politisch Rechtsaußen in der CDU zu Hause: »Die NAZIS waren eine linke Partei. Vergessen? NationalSOZIALISTISCHE deutsche ARBEITERPARTEI…«
Für den Wissenschaftler Dr. Michael Kohlstruck, Mitarbeiter am Zentrum für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin, wo er die Arbeitsstelle Jugendgewalt und Rechtsextremismus leitet, sind solche Behauptungen Quatsch: »Natürlich hatte die NSDAP einen ›deutschen Sozialismus‹ im Programm, aber keinen internationalistischen, sondern einen der auf Exklusion, Verfolgung und Vernichtung basierte.« Ganz sicher habe die NSDAP kein linkes System gewollt. Der Begriff »sozialistisch« habe damals eine andere Bedeutung gehabt als heute. Die NSDAP wegen ihrer Selbstbezeichnung deswegen an der heutigen Bedeutung zu messen, ist für ihn ein »historischer Taschenspielertrick«: »Zu sagen, die NSDAP war links, ist Unsinn.«
Auch Jakob Augstein empört sich kurz vor Weihnachten in einer SPON-Kolumne »Links und Rechts, alles eins?« über die Gleichmacherei: »Die Sozialisten gehörten zu den ersten, die in Hitlers Konzentrationslager wanderten. Und nun mutet man ihnen noch zu mit den Nazis in ›sozialistische‹ Geiselhaft genommen zu werden?«
Michael Kohlstruck verwundern die Verschleierungsversuche von rechts nicht. »Es gibt Wertebegriffe, die negativ besetzt sind. Nazi oder Rechtsradikaler gehören dazu. Deshalb nennen sich junge Neonazis auch oft ›autonome Nationalisten‹ oder bezeichnen sich als ›deutsche Patrioten‹. Nur wenige sagen, dass sie Rassisten oder Antisemiten sind. Das machen nur die ganz Krassen wie Horst Mahler.«
Der Begriff rechts ist für ihn eindeutig negativ besetzt, anders als der Begriff links. »Deshalb nannte sich die Partei Die LINKE ganz offensiv so. Links steht für fortschrittlich, freiheitsliebend, tolerant, weltoffen, kriegsfeindlich, sozial gerecht etc.« erläutert er, »weshalb Lutz Bachmann natürlich versucht diesen Begriff negativ umzudeuten und grundsätzlich von Linksfaschisten spricht.«
Bei AfD und Pegida kann es noch weitere Gründe für die Verschleierungstaktik geben. Die AfD will keinesfalls in die rechtsextreme Ecke gerückt werden, denn das hätte neben dem Negativimage auch noch die Beobachtung durch den Verfassungsschutz zur Folge. »Bei Pegida kommt dazu, dass sie ja ›das ganze Volk‹ repräsentieren will und nicht nur den rechten Teil davon«, so Kohlstruck.
Dabei kann rechtsradikale Ideologie zweifelsfrei identifiziert werden, wenn man die Merkmale kennt. Doch ganz so einfach sind diese nicht einmal im Internet zu finden. Das »Netz-gegen-Nazis«, ein Online-Projekt, unterstützt von »ZEIT«, Bundesliga, Deutschem Sportbund, DFB etc., nennt einige Identifizierungsmerkmale: »Rassismus, Autoritarismus, Chauvinismus, völkisches Denken/Volksgemeinschaft statt Individualismus, aggressiver Nationalismus, Revisionismus/NS-Verherrlichung, Ablehnung des Wertepluralismus einer liberalen Demokratie.« Dazu kämen meiner Meinung nach noch Kapitalismus und Elitedenken.
Die wenigsten Punkte treffen auf Pegida-Mitläufer oder führende AfD-Politiker nicht zu. Deshalb postet Sascha Lobo neulich bei SPON: »›Dumm ist, wer Dummes tut‹ lautet die ewige Weisheit von Forrest Gumps Mutter. Rechtsradikal ist, wer Rechtsradikales sagt. Unabhängig davon, ob die Person es selbst wahrhaben möchte oder nicht.« Auch er spricht sich für klare Worte aus.
Doch nicht immer ist ein Etikett auch Garantie für den Inhalt. Gerade wurde ein Parteiausschlussverfahren gegen das Kreisvorstandsmitglied Wolfgang Runge von Die LINKE aus Fulda eingeleitet. Runge postete bei Facebook Kommentare wie »Wo haben diese ›Kriegsflüchtlinge‹ ihre Frauen und Kinder gelassen?« Oder dass man alle Flüchtlinge, »die per Boot kommen, sofort zurücksendet, wo sie herkommen.« Prompt titelte die »Bild« am 22. Oktober 2015: »Linke und Rechte teilen Kritik an Flüchtlingswelle«.
Raimund Hethey will weiter Klartext reden. »Warum soll ich jemanden anders nennen, als ihn seine Gedankenwelt identifiziert? Einen Kinderschänder bezeichnen wir doch auch als Kinderschänder und nicht als Kinder liebenden Mann. Klar mag das der Kinderschänder nicht. Aber mir ist doch nicht wichtig, was der Täter dazu sagt. Ich muss doch auch die Gesellschaft vor solchen Leuten schützen. Immerhin stehen Nazis für Mord und Totschlag und nicht nur für irgendeine andere Meinung.« Hethey kramt einen weiteren Ordner mit Gerichtsunterlagen aus dem Regal und legt ihn auf den Tisch. Dieser Prozess hat ihn drei Jahre gekostet und ist nun 20 Jahre her. Es ging auch hier um einen Nazi aus Ostfriesland, der so nicht genannt werden wollte. »Sein Ziel war der Staatsdienst. Der Prozess hat das verhindert, weil er gerichtlich festgestellter Nazi wurde. Der wollte eigentlich Lehrer werden oder Staatsanwalt. Dank klarer Etikettierung konnten wir das glücklicherweise unmöglich machen.«
Dummerweise hilft ausgerechnet die antifaschistische Szene bei der Verschleierung von Faschisten kräftig mit. Zwar übernimmt sie nicht die extremismustheoretischen Vorgaben des Verfassungsschutzes, der konsequent von Rechtsextremisten spricht. Die Antifas sagen »extreme Rechte«. Demnach steht also in München eine Hausfrau der extremen Rechten namens Beate Zschäpe vor Gericht. Auch wäre Adolf Hitler demnach vielleicht nur ein extrem rechter Vegetarier. So kann man Entnazifizierung auch betreiben. Warum sagen wir nicht, wie es ist?
Vermutlich wird der Buchautor Raimund Hethey also noch weitere Prozesse führen müssen oder unterstützen, denn dass Nazis irgendwann gerne als Nazis bezeichnet werden, ist nicht zu erwarten. Aber das sollte nicht unser Problem sein. Sie sind doch die Faschisten. Was sonst?
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