Widerständig, rebellisch und politisch links
In Berlin findet das Festival »Musik und Politik« statt
Welchen Stellenwert nimmt denn die Politik heute auf dem Festival »Musik und Politik« ein? Ist es eher ein Musikfest? Oder eher politische Agitation?
Ein Prinzip dieses Festivals ist, dass es sich nicht an bestimmten musikalischen Genres oder Einzelthemen festhält. Es werden Künstlerinnen und Künstler, die politisch aktiv sind mit ihrer Musik, auf die Bühne geholt. Es gibt auch Künstler, die sich an weitergehenden Aktivitäten beteiligen, zum Beispiel Flüchtlingen helfen. Es ist also Musik und sie ist politisch motiviert.
Musikalisch geht es aber schon erkennbar in Richtung Folk. Und die Liedermachertradition wird gepflegt.
Die Liedermacher sind ein sehr starkes Element beim Festival, das ist richtig. Ein Liedermacher kann sich natürlich auch leichter erklären als meinetwegen jemand, der ohne Worte Jazz improvisiert. Was wir auch haben, ist HipHop, Rap. Das hängt aber davon ab, ob wir Leute haben, die sich damit auskennen und solche Veranstaltungen konzipieren und betreuen können.
Kann man es sich so einfach machen zu sagen: »Wenn der Text politisch ist, dann ist es eine politische Musik – und eine Musik, die keinen Text hat, kann keine politische Musik sein.« Ist es so simpel?
Nein, diesen Umkehrschluss sollte man nicht ziehen. Musik ist kein reines Agitationsmittel. Es ist ja nicht so, dass man eine beliebige Musik nehmen und darauf einen kämpferischen Text setzen könnte, und dann wäre es politische Musik! Das ist ein häufiger Irrtum, der da begangen wird. Musik wird dann politisch, wenn sie in einem bestimmten Kontext benutzt und genutzt wird. Also wenn ein berühmter Dirigent sich zum Beispiel mit Flüchtlingen beschäftigt und schaut, wer von ihnen Musiker ist und ob man mit denen vielleicht mal klassische Musik spielen kann. Dann ist auch diese wieder politisch in unserer Zeit.
Kann Musik heute zu gesellschaftlicher Veränderung beitragen oder eine solche herbeiführen?
Musik alleine nicht. Wir haben zu dem Thema mal eine Ausstellung gemacht. Wir machen zum Festival ja jedes Jahr eine Ausstellung. Da haben wir 16 Lieder aus ganz verschiedenen Zeiten vorgestellt, vom Bürgerlied von 1848 bis hin zu »Imagine« von John Lennon und »Keine Macht für niemand« von Ton, Steine, Scherben bis hin zu Liedern von Gundermann. Und diese Lieder würde man ja mit Fug und Recht als politische Lieder bezeichnen: Sie haben entsprechende Botschaften enthalten oder haben in ihrer Zeit auch politische Bewegungen begleitet und diese sinnlicher gemacht. Es ist vielleicht für Leute, die über eine Barrikade steigen, leichter, wenn sie ihre Gemeinsamkeit auch in einem Lied wiederfinden, das sie auf den Lippen tragen. Ein Lied kann auch eine Art Selbstverständigung sein unter Gleichgesinnten, die über die ganze Welt verstreut sind.
Aber besteht nicht auch eine Gefahr von Musik darin, dass sie, auch mittels ihrer Eingängigkeit, im Publikum eine Identität, eine Gemeinschaft herstellt?
Ich sehe das erst einmal nicht als Gefahr. Musik kann bis hin zur Beliebigkeit zum Geräusch verkommen, kommerzialisiert werden und als Wohlfühlfaktor in der Küche herumdudeln. Aber Musik ist auch in der Lage, die Herzen zu ergreifen, wie es schon immer der Fall war, selbst wenn wir heute von viel mehr Musikgeräusch umgeben sind. Und wenn die Musik im Herzen auf Widerhall trifft, dann ist sie nicht mehr beliebig. Politische Lieder können ja auch musikalisch sehr simpel sein und über das, was in ihnen gesagt wird, was einen in einer Lebenssituation gerade trifft, Wirkung entfalten. Sie sind eben häufig keine Kampflieder. Die Gefahr, dass Musik durch ihre Kommerzialisierung wirkungslos werden könnte, sehe ich nicht so sehr.
Auf dem diesjährigen Festival wird auch mit verschiedenen Veranstaltungen an die sogenannte Hootenanny-Bewegung in der DDR vor 50 Jahren erinnert, aus der auch der Oktoberklub hervorgegangen ist. Gehört diese Form der Traditionspflege bzw. DDR-Nostalgie auch zum Selbstverständnis des Festivals?
Na ja, das hat auch ein bisschen mit den Leuten zu tun, die es machen. Die Hootenanny-Bewegung ist schon ein Stückchen älter als die DDR. Es ist eine amerikanische Liedermacherbewegung. Einige Organisatoren des Festivals kommen zwar aus der DDR-Liedermacherbewegung, der ja sehr viele und sehr unterschiedliche Leute entstammen, von Reinhold Andert bis hin zu Bettina Wegner zum Beispiel. Wir haben aber auch schon eine Ausstellung gemacht über die Wurzeln der westdeutschen Liedermacher-Bewegung. Burg Waldeck als Stichwort. Aber wir könnten jetzt nicht so ad hoc eine Ausstellung machen über politische Musik auf Haiti.
Gewiss, aber es geht doch sowohl um politische als auch um musikalische Traditionspflege?
Sehen Sie, es gibt auch ein Problem in der Geschichtsschreibung oder -darstellung, da fehlen ja große Bereiche immer. Wenn sie heutzutage etwas über deutsche Staatsoberhäupter lesen, da wird natürlich nie ein Wilhelm Pieck dabei sein, egal wie er bewertet wird. Genauso, wenn Sie etwas über deutschen Fußball lesen oder deutsche Rockmusik: Es wird immer eine große Lücke sein, als ob da nichts gewesen wäre. Aber auch das, was da gewesen ist, ist wichtig für die heutige Zeit. Auch war die Liedermacher-Bewegung in der DDR durchaus nicht so sehr staatstragend, vor allem zum Ende hin nicht. Dass das jetzt so viele Leute ein Vierteljahrhundert nach dem Ende der DDR noch in der Form interessiert, dass sie sagen: »Ach ja, da war ich dabei, das will ich mal wieder sehen«, das glaube ich nicht. Wir haben in verschiedenen Veranstaltungen sehr verschiedenes Publikum.
Nicht wenige Künstler auf dem Festival verstehen sich ja als widerständig, rebellisch, explizit politisch links. Aber die Form, in der die Musik dargebracht wird, ist oft eine traditionelle, konservative. Das heißt, da wird viel mit klassischer Akustikgitarre und Banjo und Volksmusiktraditionen gearbeitet.
Das kann ich nicht durchgängig bestätigen. Bekannte Künstler, wie Konstantin Wecker oder Barbara Thalheim, stellen beispielsweise bei uns in »Liederbestenliste präsentiert« stets zwei bis drei weniger bekannte Kollegen vor. Da sind viele junge moderne Projekte dabei, die mit allen möglichen Mitteln arbeiten. Dota Kehr zum Beispiel, die man der Liedermacherszene zurechnen kann, hat zurzeit einen richtigen Boom in Deutschland, innovativ und weltmusikalisch angelegt. Banjo und Gitarre finden bei uns zwar auch ihren Platz, aber wenn man so mehrere Tage gestalten würde, wäre es auch uns irgendwann langweilig. Rock gehört dazu, HipHop und auch Musikkabarett.
Haben Sie Bedenken, ein eher traditionelles Folkmusik-Publikum zu verschrecken, wenn Sie experimentell und elektronisch arbeitende Künstler einladen?
Hatten wir ja einige Male, wenn auch seltener. Wir hatten sowohl verschiedene Klanginstallationen als auch Künstler, die mehr dem härteren Rock entstammen, wie meinetwegen Tom Morello von Rage Against The Machine. Es ist so: Was die Bandbreite der politischen Musik anbelangt, finden sich in unserem Programm tatsächlich sehr viel mehr, die in Richtung Singer/Songwriter gehen, egal wie modern die Musik jetzt ist. Da wir gar keine institutionellen Mittel haben, keine Förderung, können wir nur einen Bruchteil von dem, was uns vorschwebt, tatsächlich auf die Bühne bringen. In einer idealen Welt würde ich mir sagen: Ich kriege einen Etat und dann beschäftige ich mich mal mit der Musik des Arabischen Frühlings. Das haben wir vorvorletztes Jahr intensiv verfolgt, aber wir haben mit unseren bescheidenen Mitteln ja nicht die Möglichkeit, die Leute hierherzubringen.
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