Die Anhänger des »Zweiten Schritts« hoffen
Obwohl der Wächterrat viele »Reformer« ablehnte, hat ihre Gruppe begründete Aussicht auf Zuwachs
Bei dieser Wahl ist eigentlich nichts dem Zufall überlassen: Die Zahl, die Größe der Wahlplakate ist exakt vorgeschrieben, öffentliche Wahlkampfveranstaltungen unterliegen strengen Auflagen: Man wolle damit sicherstellen, dass alle Kandidaten genau die gleichen Chancen haben», sagt die staatliche Wahlkommission.
Mohammad Reza Aref schmunzelt, als er darauf am Rande eines Gesprächs mit Wählern angesprochen wird: Im kleinen Kreis hat sich der Vorsitzende der «Umfassenden Koalition der Reformer», kurz: «Der zweite Schritt», mit den Honoratioren eines Wahlkreises - 196 gibt es davon in Iran - im Süden von Teheran zusammengesetzt, in der Hoffnung, dass die die Bürger dazu bringen, für die Kandidaten seiner Liste zu stimmen. «Im Grunde ist es schon so, dass bei der Wahl an und für sich jeder die gleichen Chancen hat», sagt er: «Aber es ist eben auch so, dass sehr viele nicht die Möglichkeit bekommen haben, überhaupt anzutreten, und wir waren davon stärker betroffen, als die anderen Listen.»
Vier solcher Listen treten bei den Wahlen zu Parlament und Expertenrat an, wobei sich die Namen der Listen von Wahl zu Wahl ändern; mehr als 12 000 Iraner wollten kandidieren. Doch der Wächterrat, der jede Gesetzesvorlage, jeden Bewerber um ein öffentliches Amt bestätigen muss, untersagte gut 60 Prozent der Bewerber die Kandidatur. Und viele davon, an die 4000, waren Kandidaten von «Der zweite Schritt». Der Grund: Die Liste zieht auch viele jener an, die sich im säkular-linken Bereich verorten. Der Wächterrat indes fordert, dass alle Kandidaten fest im Islam verwurzelt sind.
Der erste Schritt war übrigens Ende der 90er Jahre die «Liste der Hoffnung» von Mohammad Chatami gewesen, der 1997 als erster «Reformer» Präsident wurde, sogar eine parlamentarische Mehrheit hinter sich hatte, aber dann mit seinen Reformgesetzen in Serie am Wächterrat scheiterte.
Nun hofft man darauf, mit viel prominenter Unterstützung und dem Nuklearabkommen mit dem Westen im Rücken erneut eine Mehrheit erringen zu können - bis zu der es allerdings ein weiter Weg ist: Aktuell halten die Listen, die nun den «zweiten Schritt» bilden, gerade einmal 26 Sitze im Parlament. Die Konservativen kommen auf 167 Mandate.
«Wir brauchen auch dieses Mal wieder ein solches Ergebnis», sagt Gholam Ali Haddad Adel, der Vorsitzende der «Prinziplistischen Koalition»: Mit dem Atomabkommen habe Präsident Hassan Ruhani «ein Stück der Seele Irans an den Westen verkauft», nun müsse man verhindern, dass die Reformer «Teheran zu Tel Aviv machen». Und die schlechte Wirtschaftslage gehe direkt auf die Politik Ruhanis zurück, der aus dem Umfeld des «Zweiten Schrittes» stammt: «Als Ahmadinedschad im Amt war, hatten wir wirtschaftliche Stabilität; die Menschen hatten trotz der Sanktionen genug.» Ahmadinedschad gehört zu jenem Lager, aus dem sich nun die «Prinziplistische Koalition» speist.
Die Wirtschaft, aber auch die Frage von Freiheit und Öffnung sind damit die zentralen Themen bei dieser Wahl. Allerdings: Ein großer Teil der Abgeordneten sind traditionell Unabhängige, die als Einzelkandidaten gewählt wurden. Zudem sind fünf Sitze für Minderheiten vorbehalten. Der für die jüdische Minderheit vorgesehene Sitz wird von Siadak Moreh Sadek besetzt, dem Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde der Stadt. Nein, er wolle sich keinem der großen politischen Lager zurechnen, sagt er, lässt aber keinen Zweifel daran, dass er ein Unterstützer Ruhanis ist. Kurz nach seiner Amtseinführung im Herbst 2013 nahm Ruhani den jüdischen Parlamentsabgeordneten Moreh Sadek mit zu einem Besuch bei den Vereinten Nationen in New York. Immer wieder stellte sich Moreh Sadek zudem hinter das Atomabkommen, bezeichnete es als «diplomatischen Erfolg für beide Seiten», und kritisierte Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu scharf: Dieser mische sich in die inneren Angelegenheiten anderer Länder ein.
Die Vertreter der Minderheiten werden von ihren jeweiligen Gemeinden ernannt; ob Vertreter von Minderheiten auch auf anderen Listen kandidieren dürfen, ist unklar.
Allerdings betreiben vergleichsweise viele, die zu Minderheiten gehören, Wahlkampf für Reformer«: So sind in von Christen und Juden betriebenen Geschäften sehr oft Wahlplakate von Kandidaten von »Der zweite Schritt«, zu sehen. »Wir haben eine zweite Chance«, ist sich Ex-Präsident Chatami sicher, der in diesen Tagen immer wieder im Internet um junge Wähler wirbt: »Wenn all diejenigen, die für Freiheit und Offenheit sind, auch zur Wahl gehen, werden wir etwas verändern.«
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