Eine Serviette fürs rosa Hütchen
Das »Kandidaten-Wahlopoly« des DGB verrät viel über die Bewerber zur Landtagswahl in Baden-Württemberg
Sein rosa Spielhütchen gefiel Wolfgang Drexler (SPD), Landtagsvizepräsident von Baden-Württemberg, gar nicht. »Wenn Sie Ihr Programm ändern, kriegen Sie wieder Rot«, versprach ihm Gesa von Leesen, Moderatorin des »Kandidaten-Wahlopoly«. Die freie Journalistin hat das Konzept aus Chemnitz an den Neckar geholt und dort mit dem DGB in drei Städten getestet.
Die gerade mal 80 Besucher zeigten es: Das vom kapitalistischen Monopoly-Brettspiel inspirierte Format muss sich bei den Schwaben erst noch herumsprechen. Das ist ihm zu wünschen, denn beim Wahlopoly spulen die Kandidaten nicht einfach ihre In-stant-Statements herunter. Sie dürfen ihr Veto gegen andere Kandidaten einlegen, müssen Wissensfragen beantworten und werden konsequent an ausschweifendem Polit-sprech gehindert. Nach zwei Minuten ertönt die Trillerpfeife, dann ist definitiv Schluss, das wird durchgesetzt und von den Landtagskandidaten auch akzeptiert.
Die Kandidaten würfelten sich von Thema zu Thema - von Europa zu Leben, von Finanzen zu Demokratie - es gab Felder für ein freies Thema, für eine Publikumsfrage und eine Frage an einen anderen Kandidaten. Geld gab es bei diesem Spiel nicht, stattdessen konnte man Fairness beweisen: Als in Esslingen am Neckar FDP-Kandidat Erdal Özdogan die Bildungszeit abschaffen wollte, weil die Unternehmen keine Fortbildung im Bereich »Fortpflanzung der Bienen« unterstützen müssten, konnte das Drexler so nicht stehen lassen. Er hatte aber seine drei Veto-Karten schon verbraucht. Also überließ ihm Özdogan eine von seinen, damit Drexler ihm widersprechen konnte.
Das Spiel zeigt auch, wo bei manchem Kandidaten so richtig das Herz schlägt, denn auf manchen Würfelfeldern dürfen sie zu einem freien Thema sprechen. Drexler, Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses, nutzte das zu einem flammenden Appell gegen den Rechtsradikalismus. »Mundlos und Böhnhardt haben sich einst in der Anti-Flüchtlingsbewegung radikalisiert«, warnte er. Die Gesellschaft müsse auf die aktuelle Radikalisierung der Szene reagieren. Baden-Württemberg brauche ein Programm gegen Rechts, das mit jährlich drei bis vier Millionen Euro ausgestattet sei.
Nicht immer waren beim Spiel die Originalkandidaten des Wahlkreises dabei, in Nürtingen wäre das der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann gewesen. Für manchen Zweitkandidaten oder anderen Vertreter war das eine Chance. Für Dennis Birnstock, FDP-Stadtrat aus Filderstadt, war es in Nürtingen der erste Wahlkampfauftritt überhaupt. Der junge SPD-Kandidat Sebastian Schöneck, Jahrgang 1991, schaffte ganz locker, was viele alte SPDler wohl niemals packen: Fehler zuzugeben. »Man hätte damals gleich den Mindestlohn mit einführen müssen«, sagte er zu den umstrittenen Hartz-IV-Reformen unter Kanzler Schröder.
Wie viele Flüchtlinge muss das »Ländle« nach dem Königsteiner Schlüssel aufnehmen? Welches europäische Land hat den höchsten Mindestlohn? Bei solchen Wissensfragen zeigten sich die Kandidaten meistens sicher. Kritisch wurde es für CDU-Kandidat Karl Zimmermann, als ihn in Kirchheim unter Teck die Nennung der DGB-Mitgliedsgewerkschaften aus dem Gefängnis hätte befreien können. Er wollte nicht einmal eine Aufzählung versuchen, sondern resignierte schon vorab: »Ich bleibe im Gefängnis.«
Irgendwann hielt es Drexler nicht mehr aus und verpasste seinem Hütchen zumindest eine rot gestreifte Serviette, etwas Besseres hatte er im Jugendhaus nicht gefunden. Das rote Hütchen war der LINKEN vorbehalten. Sie wurde in Nürtingen von Peter Rauscher repräsentiert. Der Realschullehrer konnte bei der Bildungspolitik aus erster Hand mitreden. Er sei ein Anhänger der Gemeinschaftsschule geworden, als er diese beim Lehreraustausch in Dänemark erlebte. Bei der Bildungszeit hänge Baden-Württemberg den SPD-regierten Ländern 40 bis 50 Jahre hinterher, betonte er. Er will auch nicht, dass Belegschaften weiterhin durch Leiharbeit und prekäre Arbeitsverhältnisse gespalten werden.
Als die CDU-Frau in Nürtingen bekannte, der Grüne Winfried Hermann sei ihr »Lieblingsverkehrsminister«, schwang darin kräftig Ironie mit, trat doch die Cyclophobie der CDU beim Kandidaten-Wahlopoly immer wieder zu Tage. Über die Landesbauordnung genügend Fahrradabstellplätze bei Neubauten vorschreiben? Pfui, grün-rote Preistreiberei im Bauwesen, die nach dem Wahlsieg sofort wieder abgeschafft gehört! Und die Autos? Sie brauchen natürlich neue Straßen, die die Grünen nicht bauen wollen. Verkehrsprojekte würden nun auf ihre Gesamtwirkung untersucht, entgegnete Ingrid Grischtschenko (Grüne). Nicht jeder Ort, in dem der Bürgermeister am lautesten schreie, bekomme seine Umgehungsstraße.
Ist die Erbschaftssteuer eine Anmaßung des Staates? Für Birnstock und die FDP schon, und der Mindestlohn und vor allem die Bürokratie dahinter sei auch nicht gut. Prompt fragte von Leesen kritisch nach: Ob es denn von einem Arbeitgeber zu viel verlangt sei, die Arbeitszeiten seiner Mitarbeiter zu erfassen?
Ein Teil der Diskussionen beim Wahlopoly wird von Kollege Würfel entschieden, auch deshalb verliefen die Spielrunden an allen drei Orten jeweils ganz unterschiedlich. In Esslingen wartete die Grüne Andrea Lindlohr vergeblich darauf, dass endlich das Spielfeld »Ökologie« an die Reihe komme - der Würfel wollte einfach nicht. In Nürtingen gab es an anderer Stelle so eine Häufung, dass von Leesen bekennen musste: »Ich habe keine Fragen mehr.«
Die AfD war zum Kandidaten-Wahlopoly nicht eingeladen, aber dennoch Thema: Warum sehen Wahlprognosen sie bei zehn Prozent? Liegt es daran, dass die CDU rechte Themen hoffähig macht, wie Özdogan (FDP) in Esslingen kritisierte? Dass 50 Prozent der Bevölkerung fast nichts besitzen und nun, wenn die Flüchtlinge kommen, Angst haben, wie Martin Auerbach von der LINKEN befand? Dass das zugewanderte Rotkäppchen Angst haben muss, könnte natürlich auch am bösen CDU-Wolf liegen, auf dessen Vorschlag von Tageskontingenten keine Großmutter hereinfallen sollte. »Das läuft voll in die Argumentation der CDU hinein«, kritisierte Drexler.
Wer von den Kandidaten eine Runde vollendet hatte und über Los zog, bekam zur Stärkung entweder einen DGB-Glückskeks oder einen Traubenzucker. Gewinner waren beim Kandidaten-Wahlopoly jedoch die Zuschauer. Sie durften am Ende mit grünen und roten Karten abstimmen, wen sie gerne im neuen baden-württembergischen Landtag sehen würden. Dabei hatte jeder, anders als am 13. März, beliebig viele Stimmen. Die grün-rosa-roten Mitspieler taten sich beim gewerkschaftsnahen Publikum leichter, doch für die schwarz-gelben gab es faire Achtungserfolge.
Wahlopoly schlägt Talk. »In fünf Jahren ist die Bude voll«, meinte von Leesen am Schluss.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.