Wie die DVU, nur professioneller
Mit völkisch-nationalistischen Tönen steuert die AfD bei der Wahl in Sachsen-Anhalt auf ein Rekordergebnis zu
Das Hotel »Schützenhaus« in Jessen gibt sich international: Auf dem Vorplatz wehen 25 Fahnen im Kreis. Im Vereinsraum aber geht es an diesem Abend nur um Schwarz-Rot-Gold. Ob es stimme, dass »deutsche Familien benachteiligt« seien, weil »die Zugereisten keine Kitagebühren zahlen?«, wird aus dem Publikum gefragt. Matthias Lieschke nickt und fügt an, auch den Kommunen gehe es finanziell miserabel: »Aber für Asylbewerber dürfen wir Kredite aufnehmen.«
Lieschke, der 44 Jahre alt ist und bisher vom Restaurieren alter Autos lebt, muss Zeit schinden. Die AfD hat zwei Wochen vor der Landtagswahl im östlichsten Zipfel von Sachsen-Anhalt zur »Bürgerversammlung« geladen, aber Landeschef André Poggenburg lässt auf sich warten. Also erzählt Lieschke den 50 etwa Zuhörern schon einmal etwas über das Wahlprogramm der Partei, für die er bereits im Kreistag Wittenberg sitzt und nun auf Platz 8 der Kandidatenliste in den Landtagswahlkampf zieht. Es geht um Steuern und das Freihandelsabkommen TTIP, um Russland und die angebliche »Frühsexualisierung« in den Kitas. Dort gebe es »Kuschelzonen«, sagt der Kandidat mit leicht angewidertem Ton und fügt an: »Homo gilt da als normal und die Ehe schon fast als Ausnahme.«
Nein, die AfD ist keine Ein-Thema-Partei, wie Poggenburg später betonen wird. Zwar liegt auf den drei langen Tischen im »Schützenhaus« zunächst nur ein Faltblatt zum Thema »Asylchaos stoppen«. Zwar dreht sich ein Gutteil der Debatte um die Flüchtlingsfrage. Man müsse die Grenzen »nicht nur sichern, sondern schließen«, sagt Lieschke. Im Publikum, in dem sich gut situierte Bürger ebenso finden wie Handwerker und Leute aus augenscheinlich weniger guten Verhältnissen, wird die Vermutung artikuliert, die Regierung schaffe gerade »ein Austauschvolk heran«.
Doch tatsächlich geht es der Partei um mehr. Das 63 Seiten lange Wahlprogramm widmet sich auch Themen wie Kultur oder Bildung. Schulen sollen »klassische preußische Tugenden« vermitteln, heißt es da, Theater sollen »klassische deutsche Stücke spielen und so inszenieren, dass sie zur Identifikation mit unserem Land anregen«. Tatsächlich deutschtümelt es in dem Programm von vorn bis hinten, angefangen bei der Präambel, in der eine vermeintlich »einseitige Konzentration auf zwölf Unglücksjahre deutscher Geschichte« beklagt wird - NS-Diktatur und Holocaust quasi als bedauerlicher Betriebsunfall der Geschichte. Das Programm drehe sich um Schlüsselbegriffe wie Volk, Nation und Identität, analysiert der Verein »Miteinander« und verortet die AfD im Land auf »völkisch-nationalistischem« Kurs.
André Poggenburg hört das Wort »nationalistisch« nicht gern; er redet im Jessener Vereinsraum, unter den Fotos vom »Männerchor 1859« und dem Text der örtlichen Hymne »O Elstertal, du mein Heimatland«, lieber von »gesundem Patriotismus«. Es ist ein Kurs, den man sich so vorzustellen hat wie den von Ungarns Premier Victor Orban, den Poggenburg für seine geplante Volksabstimmung zum Thema Asyl lobt, oder wie den von Marine Le Pen, die der AfD-Mann einst zum Erstrundensieg bei den Regionalwahlen in Frankreich beglückwünschte - ein offener Affront gegen AfD-Bundeschefin Frauke Petry.
Nicht in einen Topf geworfen werden möchte Poggenburg dagegen mit Parteien wie der DVU. Nicht, dass er Anstoß nähme an deren rechtsextremer Ausrichtung. Was ihn ärgert ist vielmehr, dass sie nach dem Wahlerfolg von 1998, als sie in Sachsen-Anhalt 12,9 Prozent erzielte, unprofessionell arbeitete und quasi Rufschädigung für Parteien am rechten Rand betrieb. »Die nannten sich national, aber haben nichts geleistet«, sagt der AfDler: »Wir machen das besser.«
Wie die AfD im Landtag von Sachsen-Anhalts auftritt, bleibt abzuwarten; dass sie ihm angehören wird, kann als sicher gelten. Umfragen sehen sie bei bis zu 17 Prozent; Poggenburg glaubt, dass »20 Prozent und mehr drin sind«. Es gebe »erstmals seit Jahrzehnten die Chance, das politische System grundlegend zu verschieben«, sagt er und fügt an, man wolle zwar »keine Revolution auf der Straße, aber eine Systemveränderung über die Parlamente« erreichen. Seine Zuhörer in Jessen bittet er, vor allem Nichtwähler unter ihren Bekannten anzusprechen: »Meckern reicht nicht.« Als jemand die Sorge äußert, die CDU könne noch Wähler abwerben, indem sie Obergrenzen für Flüchtlinge propagiert, winkt er ab: »Damit macht sie doch nur Wahlkampf für die AfD.«
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