Denkzettel für die Konservativen

Neue Leute in Irans Wächterrat / Nächster Revolutionsführer könnte aus der Mitte kommen

  • Oliver Eberhardt, Teheran
  • Lesedauer: 3 Min.
Bei der Wahl in Iran hat die Liste der Reformer ersten Ergebnissen zufolge deutliche Erfolge erzielt. Mehrere Spitzenpolitiker der Konservativen landeten abgeschlagen auf hinteren Plätzen.

Zettel um Zettel zählen freiwillige Helfer die abgegebenen Stimmen, vielfach umringt von Menschenmengen, die sich dieses Prozedere anschauen wollen. »Für uns sind freie Wahlen etwas Ungewöhnliches, und ich möchte mich selbst davon überzeugen, dass alles mit rechten Dingen zugeht«, sagt ein Mann, der mit der gesamten Familie gekommen ist. Viel zu oft habe man große Hoffnungen in Wahlen gesetzt und am Ende sei dann das Ergebnis ganz anders ausgefallen, als man es erwartet habe - nämlich so, wie es die Führung der islamischen Republik erwartete.

Doch bei dieser Wahl ist etwas anders: Die Ergebnisse, die man hat, werden transparent veröffentlicht. Es wird auch kein Versuch unternommen, zu verbergen, was für eine ganze Reihe von bislang dominanten Funktionären eine unangenehme Wahrheit ist. In Teheran, bislang eine Hochburg der Konservativen, holte die Liste der Reformer alle 30 Sitze. Besonders schmerzhaft für die Konservativen: Gholam Ali Haddad-Adel, Spitzenkandidat der Liste, verlor seinen Parlamentssitz in einem direkten Duell an den Reformer-Spitzenkandidaten Mohammad Reza Aref.

Das war nicht der einzige Denkzettel, den die Wähler den Rechten verpassten: Ahmad Dschannati landete bei der Wahl zum Expertenrat, der für die Wahl des Revolutionsführers zuständig ist, weit hinter den Kandidaten der Reformer. Dschannati ist Vorsitzender des Wächterrates; sein Name wird wie kein zweiter mit der massenhaften Nicht-Zulassung von Kandidaten in Verbindung gebracht. Dabei war aber die Zahl der Bewerber mit 12 000 extrem hoch und das Kandidatenfeld mit rund 5000 Bewerbern um 285 Parlamentssitze immer noch umfangreich. Zwar wird er auch weiterhin dem Wächterrat vorstehen - aber die Wähler haben ihm deutlich gezeigt, was sie von ihm halten.

Insgesamt zeichnet sich für die Reformer das beste Ergebnis seit 2000 ab. Damals erreichte eine Liste die absolute Mehrheit. Wobei sich allerdings die aus 18 Einzelgruppierungen bestehende Liste schnell zerstritt. Vor der nächsten Wahl untersagte dann der Wächterrat vielen Abgeordneten die Kandidatur.

Auch dieses Mal ist die Reformerliste eine Ansammlung von überzeugten Erneuerern. Dort finden sich aber auch Personen, die man eher nicht an dieser Stelle vermuten würde. So traten mehrere ehemalige Geheimdienstler für die Liste an, auch ein einstiger Generalstaatsanwalt ist darunter.

»Hätten wir eine Liste ohne Personen, die nicht im System verankert sind, vorgelegt, wäre es dem Wächterrat ein Leichtes gewesen, sie nahezu komplett zu streichen«, sagt Aref. »So konnte der Rat hinten streichen, aber vorne wäre kaum etwas zu machen gewesen.« Ob diese Leute dann aber auch tatsächlich für Reforminitiativen stimmen werden? »Ich bin fest davon überzeugt. Die Menschen ändern sich mit der Zeit.«

Wenn man sich mit den Menschen in der iranischen Hauptstadt unterhält, wird allerdings schnell klar, dass vor allem junge Erwachsene, die einen Großteil der Wähler ausmachen, aus zwei Gründen für die Liste stimmten. Das taten sie zum Einen, um den Konservativen eine rote Karte zu zeigen, und zum Anderen wollten sie Präsident Hassan Ruhani.

Doch die Wahlen haben auch konkrete Folgen. So werden die Konservativen den nächsten Revolutionsführer nicht mehr allein wählen können. Dazu fehlen ihnen nun die notwendigen 59 Stimmen im Expertenrat. Dies wird dazu führen, dass der Nachfolger von Ayatollah Ali Khamenei eher aus der Mitte kommen wird. Zudem wird das Parlament in naher Zukunft die Hälfte des Wächterrates neu besetzen müssen, die andere Hälfte wird von Khamenei ernannt. Auch hier wird man sich auf Konsenskandidaten einigen müssen.

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