Sichere Routen und sichere Ankunftsorte

Der europaweite Aktionstag für eine humane Flüchtlingspolitik war zuweilen von theoretischen Debatten und Symbolik geprägt

  • Christina Palitzsch
  • Lesedauer: 3 Min.
Aktivisten haben sich bei Kundgebungen empört über die europäische Flüchtlingspolitik geäußert. Einige zentrale Themen kamen dabei allerdings zu kurz.

»Safepassage4all« hieß es am Samstag in 123 europäischen Städten, in denen Kundgebungen für sichere Fluchtwege sowie für eine gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik stattfanden. Eine begleitende Fotoaktion knüpfte an das Bild des chinesischen Konzeptkünstlers Ai Weiwei an, auf dem er mit einer orangefarbenen Rettungsweste und einem Schild mit der Aufschrift safepassage posiert. Während in Brüssel mehrere Tausend Menschen demonstrierten, wurden in Berlin lediglich knapp 200 Teilnehmende gezählt.

»Ich bin ihm dankbar, weil es wütend gemacht hat«, sagte Juanita Villamor-Meyer über Ai Weiwei. Im Sinne von Stéphane Hessels Aufsatz »Empört euch« könne sie sich vorstellen, wie er es gemeint haben könnte. Die Initiatoren der Berliner Kundgebung zu sicheren Fluchtwegen wollen mit einer ähnlichen viralen Fotoaktion von Menschen in Rettungswesten auf das Thema aufmerksam machen. Auch kleine Schiffchen mit frommen Wünschen wurden gefaltet und aufgeklebt. In Brüssel trugen viele Demonstranten gar goldene Rettungsdecken. Initiiert wurde der europaweite Aktionstag von »Welcome Refugees Spain« und der portugiesischem »Coragem Disponivel«.

Dem bürgerlichen Spektrum und den Kirchengemeinden waren viele der nach und nach eintreffenden Berliner Teilnehmer zuzurechnen. Einige kamen mit ihren Kindern, andere trugen Kettchen mit kleinen Kreuzen. Ein Poetry-Slammer von der Kunstbühne i'Slam trug einen Text über Syrien vor. Villamor-Meyer ist im franziskanischen Religionsdialog tätig und war begeistert über jede Anwesende. »Wie cool seid ihr denn!«, sagte sie zu drei Frauen, die eigens aus Leipzig angereist waren. Die Atmosphäre erinnerte ein wenig an eine Mischung aus Occupy und christlich-islamischem Kirchendialog.

Die Forderungen der anschließenden Reden fanden weitgehend im theoretischen Raum statt, obwohl Organisationen wie Sea-Watch, Greenpeace oder Ärzte ohne Grenzen in der Praxis bereits wesentlich weiter sind. Es wurden fromme Wünsche geäußert und virale Kampagnen, die vor allem über die sozialen Netzwerke verbreitet werden sollen, gepusht. Während man legale Fluchtwege, humanitäre Visa, eine menschliche Behandlung der Vertriebenen und europäische Standards einforderte, kamen einige zentrale Themen zu kurz. Erstens sollte die Empörung nicht die Verschärfung des Asylrechts durch das Asylpaket II ignorieren. Zweitens müssen die bitteren Details der letzten Wochen wie das selektive Aussortieren von Nationalitäten an der mazedonischen Grenze schärfer verurteilt werden. Drittens darf das Thema Integration und Arbeitsvermittlung nicht fallen, ohne auch Kritik an der Gesamtsituation zu üben. Dabei geht es um die grundlegende Tatsache, wie wenig das Recht auf Asyl mit Bildung und Arbeitskraft zu tun hat.

Nur in einem Moment kam etwas Bewegung in die Kundgebung am Tränenpalast in Berlin-Mitte. Ein aufgebrachter Mann, der 29-jährige Mohammad Altaeh aus Syrien, warf gestikulierend ein, welche Auswirkungen das Dublin-Verfahren aktuell auf das Schicksal vieler Flüchtlinge hat: »Ich kenne eine Familie, die von Österreich nach Slowenien, von Slowenien in die Ukraine, von dort zurück nach Serbien abgeschoben wurde.« Dieses Schicksal droht derzeit Zigtausenden, die dem Versprechen geglaubt haben, der Fingerabdruck sei eine reine Formalie ohne Auswirkungen.

Daher gehe es nicht nur um »safe passage«, also sichere und legale Routen, sondern es müsse ebenfalls um einen »safe place« gehen, den sicheren Ankunftsort für die Schutzsuchenden. Kurz vor dem Abschluss der einstündigen Veranstaltung sprach er damit das Thema an, welches sich in diesem Jahr noch dramatisch zuspitzen wird.

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