Einer löscht, einer zündelt
Regierungserklärung zu Clausnitz und Bautzen belegt erneut den Riss in Sachsens CDU
Ja, sie gehören der gleichen Partei an: Stanislaw Tillich ist der CDU-Ministerpräsident in Sachsen; Frank Kupfer führt deren Fraktion im Landtag. Als das Parlament über eine Regierungserklärung Tillichs zu den fremdenfeindlichen Vorfällen in Clausnitz und Bautzen debattierte, konnte nun der Eindruck entstehen, sie entstammten verschiedenen politischen Lagern. Tillich wiederholte seine aus TV-Interviews vom Wochenende bereits bekannte Feststellung, das Land habe »ein Problem mit Rechtsextremismus, und das ist größer, als viele es wahrhaben wollten«. Der Angriff auf einen Flüchtlingsbus sowie der Brandanschlag auf eine geplante Unterkunft seien »widerliche rechtsextreme Umtriebe«, die »wir Demokraten gemeinsam zurückdrängen, bekämpfen und stoppen« müssen.
Von Kupfer sind solch schonungslose Töne nicht zu hören. Zwar nannte er die von »Pöblern und Randalierern« zu verantwortenden Übergriffe »verabscheuungswürdig«; sie hätten aber mit dem Freistaat quasi nichts zu tun: »Das ist nicht Sachsen.« Kupfer warf vor allem der LINKEN vor, das Problem »für ihre Propaganda zu instrumentalisieren«; es gehe darum, 26 Jahre erfolgreicher Politik in Misskredit zu bringen. Der Fraktionschef sprach sich für eine vor allem von der CSU propagierte »zeitnahe nationale Lösung« des Flüchtlingandrangs aus und warnte bei weiterem Zuzug von Migranten vor »No-Go-Areas« in sächsischen Städten, die Polizei und Bürger nicht mehr betreten könnten.
Damit wiederholte sich die Rollenverteilung aus der Debatte im September nach den Ausschreitungen vor einer geplanten Asylbewerberunterkunft in Heidenau. Damals hatte Tillich einen »Ruck der Barmherzigkeit« im Land gefordert und sich entsetzt über eine »enthemmte Minderheit« gezeigt, die das Land »beschämt und besudelt«. Kupfer dagegen hatte sich damals bemüßig gefühlt, etwa unter Hinweis auf Essgewohnheiten anzumerken, der Islam sei »keine Religion, die hier in Sachsen eine Heimat hat«. In den Fokus stellte er »Fragen von ganz normalen Bürgern, die keine Rechtsextremisten sind«.
Unklar ist bislang, ob hinter derlei Auftreten ein Richtungsstreit innerhalb der CDU oder aber ein Spiel mit verteilten Rollen steht. LINKE-Fraktionschef Rico Gebhardt unterstellt letzteres und spricht von einer »Arbeitsteilung«, bei der Tillich als der »Mann der moralischen Empörung« auftrete, wohingegen Kupfer und andere namhafte CDU-Vertreter »politische Rauschmittel für den sächsischen Alltagsrassismus« verteilten. In der von Tillich geführten sächsischen CDU säßen »geistige Brandstifter«.
Namentlich verwies Gebhardt auf den Hinterbänkler Alexander Krauß, der einst als Kopf des Arbeitnehmerflügels in der Landes-CDU galt, sich nun aber am rechten Rand profiliert. Von ihm erschien vorige Woche faktisch gleichzeitig mit der Forderung Tillichs nach besserer Finanzierung von Bildungsarbeit und Demokratieerziehung ein Interview in der »Jungen Freiheit«. Dort sprach Krauß von »zweifelhaften Förderprogrammen, mit denen am Ende nur Linksextremisten alimentiert werden«. Die Äußerung muss als frontaler Angriff auf das Landesprogramm »Weltoffenes Sachsen« gesehen werden - den der Fraktionschef nunmehr flankiert. Im Landtag verlangte Kupfer, das Programm »auf den Prüfstand« zu stellen. In einer Passage, die betroffene Initiativen nur als Drohung verstehen können, kündigte er an, man wolle »genau hinschauen, ob die geförderte Klientel noch den Zielen des Programms entspricht«. Dabei hatte Tillich nur Minuten zuvor zu einer Stärkung der Zivilgesellschaft aufgerufen und erklärt: »Allein starker Staat und Fördermittel reichen nicht.«
Die Opposition ist uneins darüber, wie mit der Situation umzugehen sei. Volkmar Zschocke, Fraktionschef der Grünen, unterstellt Tillich honorige Motive: Er habe »den Ernst der Lage verstanden«, müsse aber seine Kollegen zur Räson bringen: »Widersprechen Sie Ihren Parteifreunden!« Dagegen vermutet Gebhardt ein abgekartetes Spiel. Nachdem er der CDU im September ein abgestimmtes Vorgehen angeboten hatte, sagte er jetzt in Richtung des Regierungschefs: »Ich glaube Ihnen kein Wort mehr.«
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