Tragödie mit komödiantischem Potenzial
Kurt-Weill Fest in Dessau: Ernst Kreneks «Der Diktator» und Kurt Weills «Der Zar läßt sich photographieren»
Krenek, Weill & Die Moderne« steht über dem 24. Jahrgang des Kurt Weill Festes. Das Festival zu Ehren des berühmten Dessauers hat sich längst etabliert, pflegt Kurt Weills Werk in allen seinen schon immer populären europäischen und hierzulande eher weniger bekannten US-amerikanischen Facetten. Obwohl das Anhaltische Theater bei den Kassenwarten in Magdeburg trotz lautstarker Proteste und überzeugender künstlersicher Ergebnisse (siehe Bauhaus Ring!) eher im Stande der Ungnade verharrt und der inzwischen in Augsburg neubestallte kämpferische Intendant Andre Bücker durch Johannes Weigand ersetzt wurde (der seine Sache bislang übrigens gut macht) ist es dem Weill Fest gelungen, sich zu etablieren und sogar zu expandieren.
17 Tage mit 58 Veranstaltungen der verschiedensten Formate fürs heimische und vor allem auswärtige Publikum wollen erst mal gefüllt sein! Das Motto, das Ernst Krenek (in dessen 25. Todesjahr) neben Kurt Weill ins Zentrum des Programms rückt, gibt dessen roten Faden vor. Beide sind Jahrgang 1900, der eine kam in Dessau, der andere in Wien zur Welt. Den Zugang zur Moderne erleichterte das für beide. War Weill Meisterschüler von Ferruccio Busoni in Berlin, so Krenek bei Franz Schreker in Wien. Auch, dass Weill 1935 und Krenek 1938 in die USA flohen, ist natürlich kein Zufall. Ende der 1920er Jahre war der eine durch seine Zusammenarbeit mit Brecht ebenso berühmt geworden wie der andre durch seine innovative Jazzoper »Jonny spielt auf«.
In dieser Zeit - 1928 - hatten die beiden kurzen, sogenannten Zeitopern ihre Uraufführung, die das Anhaltische Theater jetzt zum aktuellen Weill Fest Jahrgang beisteuerte. Hier begegnen sich die beiden künstlerischen Zeitzeugen des 20. Jahrhunderts an einem Abend auf der Bühne. Und das mit zwei Stücken, in denen sogar die Tragik des Jahrhunderts wetterleuchtet. In Kreneks »Der Diktator« mit Pathos und einem direkten Bezug auf das teuflische Charisma eines kriegslüsternen Gewaltherrschers, bei dem der Komponist Mussolini vor Augen hatte. Die Frau eines kriegsversehrten Offiziers will den Diktator während eines Kuraufenthaltes am Genfer See erschießen, unterliegt dann aber der Faszination des zur Schau getragenen Willens zur Macht. Schließlich wird die verhinderte Attentäterin von der eifersüchtige Ehefrau Mussolinis erschossen. Was als großes Zeitstück beginnt, endet als kleiner, obendrein als Unfall vertuschter Tod im Hotel; ein merkwürdiger Kontrast zum großen Orchesterpathos der Musik.
In Weills »Der Zar lässt sich photographieren« ist die ebenfalls alle Register ziehende aber auch auf den komödiantischen Effekt zielende Musik deutlich leichtfüßiger unterwegs. Den privat in Paris weilenden Zaren locken Attentäter in ein berühmtes Fotostudio, wo sie die Rollen des Personals übernehmen und in dem Ungetüm von Fotoapparat die Mordwaffe deponieren. Weil der Zar aber so intensiv und ausführlich mit der vermeintlichen Fotografin rumflirtet, bis die Pariser Polizei auf der Spur der Attentäter eintrifft und die die Flucht ergreifen, kommt dieser Russenkaiser ungeschoren davon. Und die echte Fotografin obendrein auch noch zu einem Foto. In diesem Teil des Abends funktioniert die Brechung der Zeitläufte in der damals beliebten Zeitoper deutlich besser als bei Krenek. So bleibt das eine ein interessantes Vorwort zum eigentlichen Weill-Schmankerl.
Auf der Bühne genügt Doris Sophia Heinrichsen ein schlichtes Bühnengerüst von Nicole Bergmann für ihr Arrangement beider Stücke. Zeitkolorit gibt’s mehr durch die Kostüme von Jessica Rohm. Ulf Paulsen als Diktator und Zar im weißen Anzug steuert einmal die Gestik des Duce und seiner deutschen Nachahmer bei - und gibt als Zar überzeugend den Lebemann. Die in beiden Fällen scheiternde Attentäterin ist mit Iordanka Derilova genauso großformatig besetzt. Wobei das komödiantische Potenzial gerade dieser beiden zu einem Gutteil ungenutzt bleibt. Daniel Carlberg und die Anhaltische Philharmonie liefern einen Sound, der zwar ins Dreigroschen- oder Jonny Format abheben will, aber von den spätromantischen Seilen immer wieder zurückgezogen wird.
Weiter: 5.3.
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