Um fünf Millionen und die Wahrheit
In Köln beginnt ein weiterer Prozess Helmut Kohls gegen seinen Ex-Ghostwriter. Der Altkanzler stellt enorme Schadensersatzansprüche
»Geschichtsfälschung« ist, so meint man, ein Begriff der publizistischen Polemik. Abgesehen von der Holocaustleugnung beschäftigt die Frage nach der korrekten oder unzutreffenden Darstellung der Geschichte die Intellektuellen und nicht die Gerichte. Das gilt de jure auch in dem Prozess, der an diesem Donnerstag in Köln beginnt. Die Vertreter des Klägers aber erheben den Verfahrensgegenstand in den hehren Bereich der ewigen Wahrheit: Geurteilt werden müsse auch über das »Ausmaß der versuchten Geschichtsfälschung«, das sich der Beklagte habe zuschulden kommen lassen, formulieren sie.
Der Kläger in der merkwürdig emotionalisierten Causa ist Altbundeskanzler Helmut Kohl (CDU), der Beklagte sein Ex-Ghostwriter Heribert Schwan, ein früherer WDR-Spitzenjournalist. Gegenstand des Verfahrens ist Schwans 2014 erschienenes Buch »Vermächtnis - die Kohl-Protokolle«. Darin hatte Schwan zahlreiche 2001 und 2002 bei der gemeinsamen Arbeit an Kohls Memoiren aufgezeichnete Zitate verwendet, in denen sich der wohl vom Machtverlust beleidigte Kohl derb und verletzend über einstige politische Weggefährten ausgelassen hatte. In einer darauf folgenden Serie gerichtlicher Auseinandersetzungen hat sich Kohl bisher weitgehend durchgesetzt: Im Mai 2015 untersagte das Oberlandesgericht Köln dem Verlag in einstweiliger Verfügung, das Buch weiterhin zu drucken.
Nun beginnt das Hauptsacheverfahren vor dem Kölner Landgericht. Jenseits der Bedeutsamkeitslyrik der Kohl-Seite geht es um mögliche Verletzungen der Persönlichkeitsrechte. Kohls. Nicht weniger als fünf Millionen Euro Schadensersatz fordern nun seine Anwälte. Zudem steht laut Gericht die Frage im Raum, ob Schwan nach seinen Originalbändern auch Kopien herausgeben muss.
Die enorme Geldforderung scheint dabei so vermessen wie das große Wort von der »Geschichtsfälschung«. Denn dass Kohl all das Hässliche tatsächlich gesagt hat, was Schwan und Mitautor Tilman Jens veröffentlichten, stand nie zur Debatte. Und die höchste Summe, die bisher wegen Verletzung von Persönlichkeitsrechten einem Opfer zugesprochen wurde, sind die 635 000 Euro, die 2015 der Axel-Springer-Verlag dem Ex-Fernsehmoderator Jörg Kachelmann überweisen musste. Es folgt die schwedische Prinzessin Madeleine, die 400 000 Euro erstritt.
Diese Dimensionen verdeutlichen eine gewisse Hybris im Kohl-Lager. Denn anders als Kachelmann, der durch seinen Prozess und die Berichterstattung als öffentliche Person und beruflich erledigt war, scheint der immaterielle Schaden sehr schwammig, den Kohl durch die Veröffentlichung seiner unfeinen Bemerkungen erlitt. Als die Millionenforderung im Herbst bekannt wurde, reagierte der Verlag Random House gelassen.
Bisher ging es in dem Streit um die Frage, ob Schwan als Ghostwriter in einer Art Dienstverhältnis zu Kohl stand und so eine Verschwiegenheitspflicht bestand. Darin hat Kohl mehrfach recht bekommen - und es wirft auch auf Schwan kein gutes Licht, dass er sich als öffentlich-rechtlicher Topjournalist bereitfand, einem damals noch aktiven Bundestagspolitiker als anonymer Bauchredner zu dienen. Nun aber müssen die über 100 strittigen Zitate daraufhin überprüft werden, ob sie des Altkanzlers Persönlichkeitsrechte wirklich so millionenschwer verletzen.
Laut Verlag bezieht sich die Klage beispielsweise auf eine Zerrüttung der Beziehung Kohls zu Michail Gorbatschow durch die Veröffentlichung. Doch hätten die den früheren KPdSU-Chef betreffenden Zitate in dem Streit bislang gar keine Rolle gespielt. Man stelle sich auf ein zähes Verfahren ein, ließ sich im Vorfeld der Verlagsjustiziar kämpferisch zitieren.
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