Rock’n‹Rollator - wie die Gehhilfe zum Tanzpartner wird

Der Allgemeine Deutsche Tanzlehrerverband will Senioren wieder aufs Parkett holen

  • Meike Hickmann, Mainz
  • Lesedauer: 4 Min.
Zwei Millionen Menschen in Deutschland benutzen zum Gehen einen Rollator. Ein neues Handbuch zeigt, wie man damit auch tanzen kann - und so ein gesundes Hobby wieder möglich wird.

Friederike Kolb ist 100 Jahre alt und hätte niemals gedacht, dass sie noch einmal tanzen kann - doch mit dem Rollator geht das wieder. »Als junges Mädchen habe ich so gerne getanzt, und auch jetzt macht mir das so viel Spaß«, sagt sie. Jeden Mittwochvormittag gibt Sozialarbeiterin Gerburg Cartus in der Seniorenresidenz Frankenhöhe in Mainz ihr und anderen alten Menschen ganz besondere Tanzstunden. Die jüngste Teilnehmerin ist 80 Jahre alt, alle haben hier den gleichen Tanzpartner: ihren Rollator.

Auch für den Allgemeinen Deutschen Tanzlehrerverband (ADTV) ist das ein Thema, er hat nun »Agil im Alter - das Rollator-Tanz-Handbuch« in Mainz vorgestellt. Damit werden Mitarbeiter von Senioreneinrichtungen angeleitet, entsprechende Tanzstunden zu geben. Die Idee brachte Cornelia Willius-Senzer aus den Niederlanden mit. Sie ist Präsidentin des ADTV und Chefin einer Mainzer Tanzschule. »Das war so wunderschön, die Tänzer hatten Tränen in den Augen«, erzählt sie.

Seit zwei Jahren gibt der ADTV schon Rollator-Tanz-Kurse in Senioreneinrichtungen und Tanzschulen, unterstützt hat das Projekt die Krankenkasse AOK mit 20 000 Euro. »Das wurde sehr gut angenommen«, sagt Willius-Senzer. »Viele waren erst ein bisschen skeptisch, aber sobald dann die Musik losging, sah man so ein Leuchten in den Augen.« Auch die Bewohner der Seniorenresidenz Frankenhöhe haben viel Spaß an den Tänzen: Drei Schritte in die Kreismitte, Wiegeschritt und wieder zurück - andere Tänze sind mit Klatschen und Armbewegungen. Bereits Anfang 2011 hatte Willius-Senzer in Pflegeheimen für den Rollator-Tanz geworben, das motivierte Cartus. Sie weiß, wie viele Vorteile die Aktivität für ältere Menschen bringen kann. »Das tut ihnen auch unheimlich gut, sich zu präsentieren - das ist super für das Selbstbewusstsein und die Lebensfreude«, sagt sie. Ihre Gruppe macht zu Fastnachts-, Sommer-, Weihnachts- und Jubiläumsfeiern der Residenz auch Aufführungen mit Kostümen - mit geschmückten Rollatoren, zum weihnachtlichen Lichtertanz sogar mit Beleuchtung.

»Das reißt mich los aus dem Alltag und gibt mir neuen Schwung«, sagt Marie-Luise Dreyer (80). Sie schwört auf den Rollator. »Ich transportiere meinen Wäschekorb darauf, er ist Teewagen, Einkaufshilfe - und Tanzpartner!«. Cartus beginnt die Stunde mit langsameren Tänzen, dann kommen schnellere. »Tanzen ist auch ein sehr gutes Gedächtnistraining«, sagt Cartus. Und es fördert den Kontakt untereinander. Nach jedem Tanz gibt es kurze Pausen für Gespräche.

»Die Bewohner freuen sich sehr, weil sie viele schöne Erinnerungen mit den Liedern verbinden«, sagt Cartus. Zum Abschluss der Stunde kommt der Lieblingstanz aller - eine Formation zur Melodie von »Ich tanze mit dir in den Himmel«. Die Jugend von Else Bouché wurde überschattet vom Krieg. Sie habe damals viel Angst gehabt, sagt die 89-Jährige. »Danach war ja alles kaputt - aber getanzt haben wir trotzdem, dabei hatten wir Spaß.« Musik und Tanz habe deshalb eine ganz besondere Bedeutung für sie.

Das neue Handbuch zum Rollator-Tanz wurde vom Bundesgesundheitsministerium mit 35 000 Euro unterstützt. Neben Einstiegsübungen für Motorik, Rhythmus und Taktzählen werden praktische Tipps für Stunden gegeben. Es folgen Anleitungen, wie man mit dem Rollator Standardtänze wie Foxtrott und Walzer tanzen kann sowie lateinamerikanische wie Rumba und Samba oder Volkstänze wie die Polonaise. Das alles gibt es in drei Schwierigkeitsstufen. Die Tänze werden in Vorwärts-, Rückwärts- und Wiegeschritte übersetzt, oft kommen Arme und Hüfte zum Einsatz, ein Kapitel zeigt Tänze im Sitzen.

Zwei Millionen Menschen in Deutschland benutzen laut ADTV einen Rollator. »Zuerst wollte man sich damit nicht blicken lassen, aber mittlerweile gehört das zum Straßenbild«, sagte Roland Hardt, Professor für Geriatrie am Katholischen Klinikum Mainz (kkm). Als fachkundig verordnetes Hilfsmittel sei der Rollator sehr sinnvoll. Wichtig sei, dass die Griffe gut an die Größe des Patienten angepasst werden, damit dieser nicht zu gebückt laufe. Tanzen mit der Gehilfe hält er für eine gute Muskel- und Koordinationsübung. »So etwas wird immer belächelt, aber es ist sehr wirksam, weil es Stürzen vorbeugt.« dpa/nd

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