Armut ist weiblich

In Entwicklungsländern und Industriestaaten verschlechtert sich die Lage der Frauen. Deutschland taugt noch immer nicht als Vorbild

  • Christian Baron
  • Lesedauer: 5 Min.
Zum Weltfrauentag am 8. März melden sich verschiedene Initiativen und Organisationen zu Wort. Sie schlagen Alarm: Bei der Geschlechtergerechtigkeit gibt es kaum Fortschritte. Besonders Geflüchtete sind schutzlos.

Weltweit können 500 Millionen Frauen nicht lesen, 62 Millionen Mädchen wird das Recht auf Bildung vollständig verweigert. 74 Prozent aller HIV-Neuinfektionen unter Heranwachsenden treffen junge Mädchen. 40 Prozent der Afrikanerinnen leiden an Anämie (Blutarmut), was als häufige Ursache für die vielen Sterbefälle von Müttern während oder kurz nach der Geburt gilt. Das sind die erschreckenden Zahlen, die der neueste Bericht der Nichtregierungsorganisation »One« offenbart.

Die Kluft zwischen Mann und Frau ist demnach in den am schwächsten entwickelten Ländern (LDCs) am größten: Nur 26 Prozent aller Mädchen besuchen eine Sekundarschule, 86 Prozent der erwerbstätigen Frauen sind prekär beschäftigt. In vielen Staaten verdienen erwerbstätige Frauen bis zu 30 Prozent weniger als berufstätige Männer. Die durchschnittliche Lebenserwartung von Frauen beträgt in den LDCs lediglich 62 Jahre, in den ärmsten Weltregionen sind es sogar nur 52 Jahre. Zum Vergleich: In den Industriestaaten beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung von Frauen 79,4 Jahre.

Das bedeutet freilich nicht, dass in den Industrienationen für Gleichheit zwischen Mann und Frau gesorgt wäre. Ganz im Gegenteil: Auch hier zeigt sich ein erheblicher »Gender Gap«, wie die Geschlechterungerechtigkeit auch genannt wird. Die sich in reichen Ländern stetig vergrößernde relative Armut trifft in erster Linie Frauen. Dafür ist die vermeintliche Gleichstellungs-Vorzeigenation Deutschland ein gutes Beispiel.

Frauen verdienen im Schnitt 22 Prozent weniger als Männer

Nach aktuellen Zahlen verdienten Frauen 2014 bundesweit im Schnitt 22 Prozent weniger als Männer. Dabei gibt es ein Ost-West-Gefälle. Im Osten lag die Differenz bei nur neun Prozent. Die Kluft vergrößerte sich hier aber seit 2006 um drei Prozentpunkte. Für Betroffene hat der Unterschied große Folgen. Denn bei der Rente setzt sich die Ungleichheit fort. Frauen sind stärker von Altersarmut betroffen, erhalten wesentlich häufiger die Grundsicherung im Alter.

»Es darf nicht hingenommen werden, dass Frauen überproportional stark von prekärer Beschäftigung betroffen sind und in vielen Fällen auch nicht davon leben können«, sagt Sabine Zimmermann (LINKE), die arbeitsmarktpolitische Sprecherin ihrer Partei im Bundestag. Frauen seien besonders stark von Altersarmut betroffen - Tendenz steigend. »Wir brauchen Entgeltsysteme, die gleiches Geld für gleichwertige Arbeit garantieren. Hier muss die Bundesregierung verbindliche Regelungen schaffen. Insbesondere müssen aber auch Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung überführt werden.«

Fast jede zweite erwerbstätige Frau, vermeldeten am Montag auch die DGB-Frauen, befindet sich in Deutschland in einer (meist unfreiwilligen) Teilzeit-Beschäftigung. Meist seien die mangelhaften Kinderbetreuungsangebote der Grund. Zugleich wünschen sich sehr viele in Vollzeit beschäftigte Männer eine Reduzierung ihrer Wochenarbeitszeit. In einem Aufruf zum Weltfrauentag fordern die DGB-Frauen daher, das im Teilzeit- und Befristungsgesetz enthaltene Recht auf Teilzeit auf ausnahmslos alle Beschäftigten auszuweiten. Außerdem plädieren sie für die Festschreibung eines Rechts auf Rückkehr in die Vollzeit, damit Frauen nicht in der Teilzeitfalle gefangen bleiben.

»Keine Frau soll das Gefühl haben, dass sie auch bei uns nicht sicher ist«

Ein Aspekt, der in diesem Jahr zum Internationalen Frauentag an Bedeutung gewinnt, ist die Lage geflüchteter Frauen. Die Flüchtlingsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), hält sie für besonders gefährdet. »Was manche Frauen auf der Flucht erlebt haben, vermag sich kaum jemand in Deutschland vorzustellen«, sagte Özguz am Montag in Berlin mit Blick auf den Weltfrauentag an diesem Dienstag. Im vergangenen Jahr seien rund 350.000 Frauen nach Deutschland geflüchtet, größtenteils mit ihren Kindern, viele aber auch alleine. Das sei ein Drittel der Flüchtlinge, die in Deutschland angekommen seien.

»Für Frauen birgt der lange Fluchtweg besondere Gefahren«, mahnte sie. Unterwegs müssten sie sich vor sexueller Gewalt schützen, und auch in den überfüllten Flüchtlingslagern seien sie nicht vor Übergriffen sicher. »Wenn sie bei uns Schutz suchen, stehen wir deshalb besonders in der Verantwortung.« Nötig seien unter anderem getrennte Unterkünfte, separate sanitäre Anlagen und Rückzugsräume für Flüchtlingsfrauen. Auch das Personal in Asylbewerberheimen müsse im Umgang mit Fraue sensibilisiert sein. »Keine Frau soll das Gefühl haben, dass sie auch bei uns nicht sicher ist.«

Hehre Worte, mit denen die Regierungspolitik bislang nicht viel zu tun hat. Das stellte am vergangenen Wochenende die Bundesfrauenkonferenz der LINKEN in Berlin fest, die in ihrer Abschlusserklärung festhalten: »Wenngleich das Zuwanderungsgesetz in Deutschland die geschlechtsspezifische Verfolgung als Asylgrund anerkennt, haben in der Praxis viele betroffene Frauen keine Chance auf Asyl. Oft ist das Personal in den Behörden nicht ausreichend sensibilisiert, verbreitete Vorurteile tun ihr übriges.« Auch der Schutz in Flüchtlingsunterkünften weise aktuell große Defizite auf: »Damit wird die aufnehmende Gesellschaft mitverantwortlich für die Gewalt, die vielen Frauen widerfährt.«

Längst haben die Vereinten Nationen die Gechlechtergleichstellung in die globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung aufgenommen. Geändert hat sich wenig. Damit sich das ändert, fordern die sich zum Frauentag äußernden kritischen Organisationen und Initiativen vor allem einen massiv verbesserten Bildungszugang für Frauen, ganz im Sinne eines Appells, den der deutsche One-Direktor Tobias Kahler anlässlich des neuesten Berichts seiner NGO an die Mächtigen richtet: »Meinen es die Staats- und Regierungschefs ernst, müssen sie verstärkt in Frauen und Mädchen investieren, denn wir wissen, dass der Kampf gegen extreme Armut massiv beschleunigt werden kann, wenn wir Frauen und Mädchen in die Lage versetzen, ihr volles Potenzial zu entfalten.« Mit Agenturen

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